Gewitter im Kopf

Veröffentlicht am 8. Juni 2025 um 10:30

Es hört doch jeder nur, was er versteht - Johann Wolfgang von Goethe

Ein Alptraum kann einem aus dem tiefsten Schlaf reißen. Er kann aber auch dafür sorgen, dass wir lieber schlafen und unseren Träumen folgen, als wach zu sein.

„Ein wunderschöner Tag, nicht wahr?“, seufzte Beatrice und streckte sich in ihrem Stuhl.

Sie schob ihren Sonnenhut noch ein wenig mehr in ihr Gesicht und griff nach ihrer Kaffeetasse.

„Wir sollten morgen mit den Kindern an den See fahren. Der Pool ist zwar nett, aber bei dem Wetter viel zu warm.“

Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und verzog das Gesicht. Er war bereist kalt geworden. Sie hatte wohl etwas zu lange gewartet.

„Naja, jetzt habe ich ja meinen Eiskaffee.“, sagte sie und lachte.

Beatrice beobachtete ihre Kinder wie sie auf den Badetüchern neben dem Pool lagen und beide ein Buch lasen.

Sie hatte jeden von ihnen die Der Herr der Ringe Reihe und die Vorgeschichte Der Hobbit geschenkt.

Sie wusste, dass wenn sie sich die Bücher teilen, würde es in einer Katastrophe enden.

Teilen gehörte nicht zu deren Stärke.

„Ich hol uns etwas Limonade, komm gleich wieder.“

Beatrice stand auf und ging über die Terrasse zurück ins Haus. Sie ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank.

„Oh mein Gott!“, rief sie.

Ihr kam ein grauenvoller Geruch entgegen und sie musste sich beinahe übergeben.

Instinktiv drehte sie sich vom Kühlschrank weg und hielt sich ihren rechten Arm vor Mund und Nase.

 

>Beatrice? Bist du da?<, hörte sie eine Stimme.

 

„In der Küche. Ich komme gleich. Muss den Kühlschrank noch sauber machen.“, rief sie.

 

Sie drehte sich wieder um starrte mit weit offenen Augen in den Kühlschrank.

So gut wie alles was sich darin befand, war verschimmelt.

Zitronen, Brot, Tomaten, Paprika .. sogar das Fleisch das sie erst gestern frisch gekauft hatte.

„Wie ist das möglich?“, fragte sie sich.

Sie holte einen großen Müllsack und schmiss alles hinein. Dabei achtete sie immer beim Einkaufen immer so genau auf die Lebensmittel.

Den Müllsack brachte sie sofort raus in die große Restmülltonne vorm Haus.

Dann nahm sie alle Laden aus dem Kühlschrank und reinigte sie.

 

„Das war's mit der Limo.“, seufzte sie als sie sich wieder draußen auf ihren Stuhl setzte.

Beatrice griff nach ihrem kalten Kaffee. Der war aber nicht da wo sie ihn stehen lassen hatte.

Sie drehte sich verwundert nach links.

„Wo hast du den Tisch mit den Tassen hin?“, fragte sie.

 

Etwas verwirrt blickte sie sich im Garten um.

Sie wusste genau, dass zwischen ihren beiden Stühlen der kleine hölzerne Gartentisch mit den Tassen darauf stand. Sie hatte ihn extra aus dem Schuppen geholt damit sie draußen gemütlich Kaffee trinken konnten. Und jetzt war er weg. Mit den Tassen.

 

„Du denkst, dass du lustig bist, oder?“, seufzte sie.

Sie stand auf und ging zurück in das Haus. In der Küche holte sie zwei neue Tassen aus dem Schrank und stellte sie auf die Kaffeemaschine. Dann drückte sie den Knopf für zwei Tassen.

Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Küche und verschränkte ihre Arme.

Beatrice blickte beim Küchenfenster hinaus zu ihren beiden Kindern. Sie lagen beide auf dem Rücken. Die Bücher neben ihnen.

„Wahrscheinlich eingeschlafen.“, lachte sie.

Sie nahm die zwei Kaffeetassen und ging wieder nach draußen.

„Hier dein Kaffee.“, sagte sie. Sie setzte sich in den Stuhl und reichte mit ihrer linken Hand die Tasse zu ihm.

„Ich stell sie dir hier auf den Boden.“, sagte sie.

 

Beatrice lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schob ihre Sonnenbrille wieder vor ihre Augen und lächelte.

Die Sonne war warm auf ihrem Gesicht. Sie spürte ein Kribbeln auf ihrer Haut. Es war der perfekte Sommertag. Sie schloss ihre Augen und nach einer Weile döste sie sanft weg.

 

Als sie ihre Augen wieder öffnete, hatte sich der Himmel verdunkelt. Aus einem strahlend blauen Himmel ist ein grauer wolkenverhangener Himmel geworden. Ihre Kaffeetasse hatte sie noch immer in ihren beiden Händen. Beatrice brauchte etwas um von ihrem Schlaf wieder komplett in die Realität zurückzukommen.

„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte sie sich selbst.

Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee um wach zu werden.

Als sie die Tasse an ihre Lippen ansetzte und den Mund leicht öffnete, spürte sie, wie die Flüssigkeit ihre Lippen bedeckten. Aber sie spürte auch noch etwas anderes. Es fühlte sich glitschig an. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und blickte in ihre Tasse.

Beatrice ließ sie mit einem kurzen Schrei fallen und der Kaffee verteilte sich über den Waschbetonplatten. In der Flüssigkeit wimmelte es von Maden und Würmern.

„Was zur Hölle ist das? Oh mein Gott!“, rief sie.

Sie spuckte mehrere male hintereinander aus. Dann lief sie ins Badezimmer. Sie hielt ihren Mund unter den Wasserhahn des Waschbeckens und drehte das Wasser auf.

Als sie das Wasser sah, ließ sie wieder einen Schrei los. Aus dem Wasserhahn lief kein klares Wasser sondern braunes.

 

>Beatrice! Beatrice!< hörte sie eine Stimme rufen.

 

Ich komme, Schatz.“, rief sie und rannte nach draußen in den Garten. Als sie dort ankam, schüttete es bereits aus Kübeln. Ihre Kinder lagen noch immer auf ihren Badetüchern, rührten sich aber nicht.

Sie lief zu ihnen hin.

Steht auf. Ihr werdet noch krank!“, rief sie. Die beiden bewegten sich aber kein bisschen. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Hände lagen gefaltet auf ihrer Brust.

Beatrice schüttelte die beiden, vergeblich.

Madeleine! Christopher! Wacht auf!“, schrie sie.

 

>Beatrice! Hörst du mich?< rief eine Stimme.

 

Sie sprang auf und blickte sich im Garten um. Mittlerweile hatte sich das Wetter in ein Gewitter verwandelt. Es donnerte und blitzte und der Regen wurde immer stärker.

 

>Beatrice!< schrie die Stimme.

 

Sie drehte sich hin und her. Sie hörte die Stimme genau vor sich, konnte aber wegen dem starken Regen wenig sehen.

 

>Hörst du mich?<

 

Plötzlich spürte sie einen Stich in ihrem Herzen. Sie griff mit ihrer rechten Hand auf ihre Brust und beugte sich nach vor. Auf den ersten Stich folgten noch drei weitere. Irgendwann kniete sie auf dem Boden und rang nach Luft. Es fühlte sich an, als würde ihr die Luft ausgehen. Als würde ihr jemand die Lunge zerdrücken.

Als der fünfte Stich einsetzte, ließ sie einen Schrei los und riss ihre Augen weit auf.

Sie lag auf ihrem Rücken am Boden. Regen prasselte auf ihr Gesicht und ihr Atem raste.

 

„Beatrice! Hörst du mich? Bist du da?“, rief ihr Mann.

 

Sie blickte panisch um sich und wollte aufstehen, konnte aber nicht. Irgendetwas blockierte ihren Körper. Sie bewegte ihren Kopf hin und her.

„Beruhigen sie sie. Sie muss ruhig liegen bleiben!“, rief eine andere Stimmte.

Beatrice sah das Gesicht ihres Mannes vor ihr. Er lächelte sie mit zitternden Lippen an.

„Bleib bitte ruhig liegen. Keine Panik. Alles wird gut. Das verspreche ich dir. Wir schaffen das.“

Die Worten machten aber alles nur noch schlimmer. Beatrice hatte keine Ahnung wo sie war und was los war. Eigentlich war sie vor kurzen noch im Garten bei den Kindern. Jetzt spürte sie einen kalten Boden unter sich und hatte einen enormen Schmerz im ganzen Körper.

 

„W.. Was … ?“, stotterte sie.

 

Ihr Mann nahm ihre linke Hand in seine Hände und drückte sie fest.

„Es tut mir so Leid!“, sagte er und begann zu weinen.

„Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht so viel trinken. Ich wollte nicht mit dir streiten. Nicht schon wieder. Aber du hast nicht aufgehört. Immer wieder hast du damit angefangen, dass du Kinder haben möchtest. Es hat so stark geregnet. Ich habe die Kurve unterschätzt.“

 

Beatrice begann sich wieder zu erinnern.

Der Abend bei den Freunden. Sie hatten Spaß, es war witzig. Irgendwann kam das Thema Kinder auf. Sie wünschte sich so sehr welche. Ein Mädchen und einen Jungen. Es wollte aber nicht klappen und ihr Mann wollte keinen Test machen. Also begannen sie zu streiten. Bevor es zu peinlich wurde, fuhren sie nach Hause. Ihr Mann hatte etwas zu viel getrunken und kam in der Kurve ins Schleudern. Das Auto überschlug sich und landete im Graben. Wie durch ein Wunder ist ihrem Mann nichts passiert. Sie wurde aber aus der Windschutzscheibe geschleudert und prallte mit voller Wucht gegen einen Baum. Dabei bohrte sich ein Ast in ihren Bauch. Die linke Schulter war ausgekugelt. Der rechte Arm durch das Glas der Scheibe komplett zerfetzt.

 

Tränen flossen über ihre Wangen.

Sie schloss die Augen.

 

>Sie muss wach bleiben!< rief eine Stimme.

 

Als sie ihre Augen wieder öffnete saß sie in ihrem Stuhl im Garten. Ihren Kaffee in beiden Händen und die Sonnenbrille etwas verrutscht.

Sie schüttelte sich und stand auf. Ihr Blick ging sofort zum Pool und ihren beiden Kindern. Sie lagen auf ihren Badetüchern mit den Büchern in der Hand.

„Was für ein Alptraum. Wie kann man so etwas träumen?“


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Kommentare

Gabriele
Vor einem Monat

Welch ein Alptraum - da wacht man gerne auf👍🤭💃