Die Geschichte lehr die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt - Mahatma Gandhi.
Mit 11 Jahren trägt ihre Tochter eine große Last auf den Schultern. Jeden Tag setzt sie sich der Gefahr aus den Kampf gegen die Welt zu verlieren. Einer Welt, der sie nichts getan hat und die sie nie in ihrer schönsten Zeit erlebt hat.

Ronja blickte zu ihrer Tochter die gerade beim Esstisch saß und ihr Frühstück aß.
„Vergiss nicht zu schlucken!“, sagte sie zu ihr.
„Jaaa, aber ich muss gleich los. Ich hab nicht mehr so viel Zeit!“, antwortete ihre Tochter und stopfte sich noch ein Stück Toast hinein.
„Du hast noch fast zwei Stunden. Also iss bitte langsam.“, erwiderte Ronja.
Sie seufzte und trocknete weiter das Geschirr ab. Der Geschirrspüler war bereits seit über zwei Monaten kaputt, obwohl sie schon mehrmals eine Nachricht hinterlassen hatte. Es war kein großes Ding, dass sie das Geschirr selber spülen und trocknen musste. Es ging ihr viel mehr darum, dass nie jemand auf Probleme reagierte. Ronja empfand es als mühsam, immer wieder um Hilfe zu bitten. Sie würde es ja selbst machen, aber der Verbau und die Rohre waren dermaßen kompliziert, dass sie Angst hatte, es noch schlimmer zu machen. In diesen neuen Unterkünften war alles irgendwie speziell.
„Möchtest du noch etwas?“, fragte Ronja ihre Tochter.
Die schüttelte den Kopf und starrte weiterhin gerade aus auf das Fenster an der Wand.
Heute hatten sie ein schönes Bild. Strahlend blauer Himmel, die Sonne schien und es ging eine Brise Wind. Die Bäume wiegten sich leicht mit. Hin und wieder flog ein Vögelchen vorbei und setzte sich vor das Fenster. Ihre Tochter war dann jedes mal völlig aufgeregt und versuchte den Vogel zu fangen. Das war natürlich nicht möglich.
>Weil er viel zu schnell ist, oder Mama?<
Ja, weil er zu schnell ist. Eine andere Erklärung hatte Ronja nicht für ihre Tochter. Jede andere würde ihre Tochter auch noch nicht verstehen.
„Bist du fertig mit Frühstück?“, fragte Ronja.
Ihre Tochter nickte.
„Dann geh' doch bitte schon mal ins Bad, ja?“
„Okay, Mama. Können wir dann noch kurz die Aufgaben von gestern machen? Ich hab sie wieder vergessen.“, flüsterte sie.
Es war nicht das erste mal, dass ihre Tochter ihre Aufgaben vergaß. Ronja war das aber schon gewohnt, deswegen weckte sie ihre Tochter auch viel früher auf. Somit hatte sie genug Zeit für die ungeplanten Sachen. Wobei ungeplant waren sie mittlerweile nicht mehr. Ronja nannte sie >ungeplante geplante Sachen<.
Als ihre Tochter im Bad verschwand, räumte Ronja den Esstisch ab und stellte das Geschirr in die Spüle. Sie würde es später abwaschen. Sie machte sich einen schwarzen Kaffee und setzte sich zum Esstisch. Milch und Zucker gab es nicht in diesem Haushalt. Ronja hielt nichts von diesen verschiedenen Milcharten. Am liebsten war ihr früher die frische Milch vom Bauern, aber die bekam man heute fast gar nicht mehr. Und Zucker war ihr sowieso zu wider. Sie blickte auf das Fenster vor sich. Die Sonne strahlte sehr hell und für einen Moment schloss Ronja ihre Augen.
Sie erinnerte sich daran, wie sie und ihr Mann das erste Mal mit ihrer Tochter am Strand waren. Da war sie knapp ein Jahr alt. Sie saß, mit nichts an außer ihrer Windel, mitten im Sand und versuchte zu verstehen, was sie da in der Hand hatte. Ihr Mann hatte neben ihrer Tochter immer eine kleine Sandburg gebaut, aber die überlebte nicht sehr lange.
Ronja erinnerte sich auch daran, wie sehr sie die Zeit genoss und wie gut ihr diese Auszeit tat. Zwei Wochen waren sie damals in Italien. Ihre Familien und Freunde konnten nicht verstehen, wie sie das bezahlt hatten, aber es ging sie ja auch nichts an.
„Mama?“, rief ihre Tochter aus dem Bad.
„Ja?“
„Kannst du mir bitte mein Duschgel bringen? Ich hab es in meiner Tasche vergessen.“
Ronja stand auf und ging in das Zimmer ihrer Tochter.
Dort sah es aus wie immer. Es herrschte reinstes Chaos. Ihr Gewand war am Boden verstreut, zwischendrin lagen Zeitschriften und Notizen. Auf ihrem Schreibtisch genau dasselbe.
„Wo ist deine Tasche? Ich kann sie in diesem Chaos nicht finden?“, rief Ronja ins Bad rüber.
Mit 11 Jahren kam sie der Pubertät immer näher. Wobei Ronja das Gefühl hatte, dass ihre Tochter bereits mitten drin war. Ihr Glück war, dass sie sich noch nicht für Jungs interessierte. Ronja hatte panische Angst vor dem Tag. Sie wusste nicht, wie sie ihrer Tochter das erklären sollte.
„Liegt am Bett irgendwo!“, schrie ihre Tochter aus dem Bad zurück.
Als sie das Bett durchsuchte, stieß sie auf Zeitschriften, die sie so bei ihrer Tochter noch nie sah.
Ronja blätterte sie durch und hob ihre Augenbrauen.
„Gut, das mit der Aufklärung bleibt mir erspart.“, sagte sie zu sich selbst.
Ronja konnte sich nicht erklären, wo ihre Tochter diese Zeitungen her hatte. Vor allem, da Zeitschriften eigentlich streng kontrolliert wurden.
Sie legte sie zurück auf das Bett und wühlte sich weiter durch das Chaos.
Schließlich hatte sie die Tasche gefunden und brachte sie ihrer Tochter ins Bad.
„Hier, dein Duschgel.“, sagte sie und reichte es am Duschvorhang vorbei.
„Danke!“, rief ihre Tochter.
Ronja setzte sich wieder an den Esstisch und blickte zum Fenster.
Die Stimmung draußen hatte sich geändert, genauso wie ihre. Es war nicht mehr so sonnig und hell. Mittlerweile hatten sich ein paar dunkle Wolken auf dem Himmel gebildet und der Wind wurde auch stärker.
Ronja nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.
Sie war kein Mensch großer Veränderungen. Sie liebte ihre kleine 60 Quadratmeter Wohnung mit der 15 Quadratmeter Terrasse und ihren Job als Pflegerin. Sie hatte ihre festen Routinen und Gewohnheiten.
Zuerst frühstückte sie, dann machte sie Frühstück für ihre Tochter und ihren Mann. Sie fuhr ihre Tochter in den Kindergarten, dann zur Arbeit und um Punkt 15 Uhr holte sie ihre Tochter wieder ab. Es ging sich alles aus, sie hatte alles unter Kontrolle und sie hatte genug Zeit für ihr Kind.
Natürlich konnte sie nur weniger Stunden arbeiten und verdiente dadurch auch weniger, aber das war es ihr wert.
„Mama?“, rief ihre Tochter wieder aus dem Bad.
„Ja?“
„Holst du mir bitte meinen Anzug und den Helm? Liegt auch im Zimmer.“
Ronja stand auf und ging wieder in das Zimmer ihrer Tochter.
Den Anzug und Helm fand sie gleich. Sie waren auch nicht zu übersehen. Beides hing neben dem Bett ihrer Tochter. Sie war ziemlich stolz darauf. Ronja musste kurz schlucken, als sie beides in den Händen hielt.
„11 Jahre. Das ist nicht fair.“
Nach 6 Jahren hatte sie sich an diese eine Veränderung nie gewöhnen können.
Sie hing beides innen an die Badezimmertür und setzte sich wieder an den Esstisch.
Ihre Tochter kam wenig später zu ihr. Sie legte die ganzen Notizen vor Ronja hin.
„Kannst du mir bitte helfen? Ich hab gestern vergessen die Sektoren abzuzeichnen wo ich war.“
Ihre Tochter sah sie mit ihren großen blauen Augen an.
„Ja, klar. Holst du deinen Laptop?“
Ihre Tochter schaltete den Laptop ein und loggte sich in ihren Account ein. Sie öffnete die Aufzeichnungen ihrer Bewegungen gestern und dann zeichneten Ronja und sie alles ein.
„Okay, geschafft. Danke! Du rettest mir den Arsch, Mama. Dad wäre sicher wieder ausgerastet, wenn ich es vergessen hätte. Ich geh mich anziehen.“
Sie gab ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und verschwand ins Bad.
Nach 15 Minuten stand sie vor ihr.
„Bin dann mal weg.“, sagte ihre Tochter.
Ronja umarmte sie ganz fest und ließ sie eine Zeit lang nicht los. Das tat sie jeden Morgen. Sie hasste es, wenn ihre Tochter zur Arbeit ging.
Dann setzte Marina sich ihren Helm auf und schloss das Visier. Sie kniff ihre Augen zusammen, denn wie jedes Mal bekam sie einen kleinen Stich auf beiden Schläfen, wenn die Nadeln in die Mind-Memorie-Capsules fuhren. Sie hatte auf jeder Schläfe eine solche Kapsel. Damit wurden ihre Gedanken und alles was sie sah und tat aufgezeichnet.
Ihre Tochter öffnete die Haustür und stieg in den Lift vor ihrer Wohnung. Sie winkte ihrer Mutter noch einmal und schickte ihr einen Luftkuss. Dann schloss sich die Tür und ihre Kleine war weg.
Marina fuhr mit dem Lift nach oben. Dort angekommen, sah sie dasselbe Bild wie jeden Tag.
Eine Welt, welche komplett in sich selbst zusammen gebrochen ist. Alles was brennen konnte, brannte. Bäume gab es nicht. Die Sonne hatte Marina noch nie gesehen, denn der Himmel war rot. Ein Rot, wie wenn er brennen würde. Die Luft war drückend schwül und roch nach rostigem Metall. Zumindest wurde ihr das so erzählt. Unter ihrem Helm konnte sie keine Gerüche wahrnehmen. Durch die Nadeln in ihren Schläfen hörte sie aber besser. In den ersten Wochen verstörten sie die Geräusche. Überall knisterte es von Feuern, sie hörte Schüsse und Schreie hallten durch die Luft. Marina wusste nicht was für Schreie das waren, aber sie waren grell und klangen verzweifelt und voller Todesangst. Ihr Vater hatte ihr erklärt, dass nicht alle nach unten konnten. Manche blieben oben, versteckten sich wo sie nur konnten und versuchten zu überleben.
Sie hatte in den letzten 2 Jahren beinahe alles gesehen. Verkohlte Menschen, aufgehängte Menschen, zerrissene Körper. Und einmal hatte sie sogar gesehen, wie ein Menschen getötet wurde. Dieses Ding hatte ihn einfach zerdrückt in seiner Pfote – oder was auch immer das war.
Marina kannte keine andere Welt. Mit 2 Jahren musste sie nach unten. Als sie 8 wurde, kam das Militär und bildete sie zur Späherin aus. Jetzt ist sie 11 und seit 2 Jahren ging sie jeden Tag nach oben in die Hölle, sammelte Informationen zu den Wesen die vom Himmel kamen und alles niederbrannten.
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Kommentare
Dass wäre ein cooler Film 🎥
Schreib mal ein Drehbuch 🤣👌🙌