Das Leben schreibt manchmal die komischsten Geschichten. Manche gewinnen, andere verlieren. Manche leben weiter, andere versuchen irgendwie zu überleben. Christine hat verloren und versucht seither zu überleben. Manchmal klappt es und ein anderes Mal hilft ihr Stefanie.

Die Vögel zwitscherten. Es klang, als würden sie mich anfeuern, mir zustimmen oder mich motivieren wollen.
>Tu es! Tu es! Tu es!<
Ich war mir aber ziemlich sicher, dass ihr Gezwitscher in diesem Moment etwas ganz anderes bedeutete. Vielleicht wollten sie mich abhalten, mich stoppen und mir sagen, dass das eine saublöde Idee war. Ich werde es nie erfahren. Ein Vogelexperte würde sich da sicher leichter tun. Er könnte herausfinden ob die Vögel aufgeregt, beruhigt oder vielleicht genervt waren. Die Natur faszinierte mich schon immer. Sie war ruhig …
DU SCHWEIFST AB!, schrie sich mich an.
Ich zuckte kurz zusammen.
„Wieso musst du immer so aggressiv sein? Das macht die Sache echt nicht leichter.“, erwiderte ich ihr.
„Lass mir doch ein bisschen Zeit und meine Gedanken schweifen. Das beruhigt mich. Das weißt du ganz genau.“
Ich setzte mich trotzig auf den Boden und legte meinen Kopf in meine Hände.
Wenn du mich nicht hättest, würdest du echt nichts auf die Reihe bekommen!, antwortete sie scharf.
Eine Träne floss über meine Wange. Das war echt nicht fair. Ich hatte die ganze Arbeit und sie redete nur und schuf an.
Ich lies meinen Blick in die Ferne schweifen. Was für eine tolle Aussicht. Hier oben hatte man eine Sicht über den gesamten Naturschutzpark. Von der Klippe ging es etwa 2000 Meter im freien ...
KONZENTRIERE DICH ENDLICH!, schrie sie mich wieder an.
Ich seufzte und schüttelte den Kopf.
„Hast du vielleicht mal daran gedacht, dass mich das alles überfordert? Ich zieh's schon durch, aber lass es mich auf meine Weise machen. Das kann doch nicht so schwer sein?“
Mein Blick fiel weiter in die Ferne zum See. Ich konnte mich bis heute an die Sommer dort erinnern. Mein Vater hatte dort eine kleine aber feine Hütte. Ein Schlafzimmer. Ein Bad – wohlgemerkt, die Toilette befand sich außerhalb der Hütte – mit einer Wanne und einer Wohnküche. Ich schlief meistens auf der Couch im Wohnbereich. Störte mich aber nie. Alles war sehr spärlich eingerichtet. Den Ofen heizte man mit Holz und auch das Wasser für die Wanne musste vorher gekocht werden. Ich dachte mir dann meistens Geschichten zu unserem Urlaub aus.
Einen Sommer lang tat ich so, als wäre die Welt untergegangen und meine Eltern und ich waren die einzigen Überlebenden. Ich sammelte Nahrung aus dem Wald, holte Wasser aus dem See und schrieb ein Fake-Tagebuch.
Oh Gott! Hör endlich mit diesen langweiligen Geschichten auf. Ich sterbe gleich., seufzte sie.
Kannst du nicht endlich zur Sache kommen?
„Okay, jetzt pass mal auf! Ich bin hier diejenige die alles macht! Also bin auch ich diejenige, die entscheidet in welchem Tempo wir vorangehen! Hast du verstanden?“, schrie ich sie an.
Oho, werden wir jetzt auf einmal aufmüpfig?, spottete sie.
Ich schüttelte meinen Kopf.
„Halt die Klappe.“, schnauzte ich sie an.
Ich drehte mich um und blickte zu dem Wald hinter mir. Manchmal malte ich mir aus, dass etwas aus ihm herauskam. Ein Mensch, ein Bär oder vielleicht sogar ein Außerirdischer? Ich musste kichern.
Als würde es so etwas wie Außerirdische geben. Und selbst wenn, würden sie mit Sicherheit einen riesigen Bogen um unseren Planten machen. Reicht ja, dass wir unseren ruinieren.
Ich drehte mich wieder nach vorne und genoss die Aussicht. Die Sonne schien mir ins Gesicht und ich schloss die Augen. Es war zwar erst April, aber sie hatte schon ziemliche Kraft. Ich spürte die Wärme auf meiner Haut und seufzte.
„Es wäre vieles einfacher, wenn du mich in Ruhe lassen würdest.“
Ich erwartete eine Schimpftirade oder einen Aufstand. Aber es kam nichts. Kein Protest, keine Erklärungen wie hilflos ich alleine wäre und auch keine Aufklärung, was sie bereits alles für mich getan hatte.
„Hast du mich gehört?“, fragte ich.
Es kam ein leises Seufzen.
Und du glaubst ich habe es mir ausgesucht, dass ich bei dir hängen geblieben bin?, fragte sie mich.
„Hast auch wieder recht.“, antwortete ich und zuckte mit den Schultern.
Es ist wie es ist. Wir können noch Stunden darüber diskutieren. Entweder du bringst das Ganze jetzt endlich hinter dich, oder wir sitzen morgen noch auf dieser dämlichen Klippe!, entgegnete sie genervt.
Ich legte meinen Kopf zwischen meine Beine und atmete schwer aus. Ich versuchte mich an meine Kindheit zu erinnern. Die Urlaube in der Hütte. Die Ausflüge in den Wald mit meinem Vater und wie er mir erklärte, was nahrhaft war und was nicht. Meine Mutter, die diesen herrlichen Apfelkuchen …
Wirst du jetzt nostalgisch? Sag Bescheid, wann ich aufhören kann zu kotzen., sagte sie.
Ich wollte gerade antworten, da hört ich hinter mir einen dumpfen Knall.
Er riss mich aus meinen Erinnerungen und ich drehte mich ruckartig um.
„Hoppala!“, rief ich belustigt.
Ich stand auf und ging zu Markus hin. Er hatte sich anscheinend so heftig bewegt, dass er mit seinem Stuhl umgefallen war.
„Entschuldige! Dich hab ich ja komplett vergessen!“, lachte ich.
Es dauerte eine Weile und es waren einige Versuche erforderlich, aber nach einer Zeit hatte ich ihn gemeinsam mit dem Sessel wieder hoch gehoben. Ich überprüfte das Seil an seinen Knöcheln und Handgelenken.
„Dass du mir nicht abhaust.“, sagte ich und grinste.
Er murmelte irgendetwas dahin, aber ich konnte es durch das Klebeband am Mund nicht verstehen.
Da ich schon immer neugierig war, riss ich ihm es mit einem Ruck ab.
Er ließ einen kurzen Schrei los.
„Sorry, aber die Dinger gehen immer so schwer ab. Und es heißt ja immer man soll es schnell abziehen. Wie bei einem Pflaster.“, lächelte ich ihn an.
Er fing an um Hilfe zu schreien. Der arme Kerl brüllte sich seine Seele aus dem Leib.
„Du weißt, dass das nichts bringt, oder?“, fragte ich ihn.
Er sah mich wütend an.
„Was stimmt nicht mit dir du Irre?“, schrie er mich an.
„Er hat mich Irre genannt. Ich bin nicht irre. Sag ihm, dass ich keine Irre bin!“
Lass ihn reden. Hör gar nicht hin. Wir beide wissen wer hier wirklich verrückt ist!, antwortete sie mir.
Ich lächelte zufrieden.
„Siehst du? Du kannst hier schreien und schimpfen wie du willst. Wir wissen, dass du der Idiot bist.“, sagte ich ihm.
Markus sah mich komplett entgeistert an. Seine Augen waren weit geöffnet und darin waren tausend Fragezeichen klar zu sehen.
„Mit wem sprichst du?“, fragte er mich.
Ich lächelte ihn an und stellte mich ganz nah vor ihm hin. Dann bückte ich mich, damit unsere Köpfe auf einer Höhe waren.
„Kennst du nicht. Ist meine beste Freundin. Ihren Namen sag ich dir nicht. Geht dich nichts an.“, flüsterte ich ihm entgegen und streckte die Zunge heraus.
„Okay, dann sag mir wenigsten wer zur Hölle du bist und was du von mir willst?“, fragte er mich.
Ich ging einen Schritt zurück und fühlte Enttäuschung in mir.
Nicht aufregen, Kleines. Er ist ein Idiot., sagte sie zu mir.
Ich verschränkte die Arme.
„Wie? Du weiß nicht wer ich bin?“, fragte ich ihn.
Er schüttelte den Kopf.
„Nein. Und wenn ich herausfinde wer du bist und ich hier loskomme, bring ich dich um!“, schrie er mich an. „Ich hetzte dir alles und jeden auf den Kopf du blöde Kuh!“
Es ist soweit. Verliere keine Zeit mehr. Ich bin bei dir., sagte sie ruhig.
Ich ging zu meinem Rucksack und holte ein Seil heraus. Dann drehte ich den Sesselrücken Richtung Klippe und band das Seil um die Lehne. Ich befestigte es mit dem besten Knoten den mein Vater mir beibrachte. Dann warf ich den Sessel um, so dass Markus mit seinem Rücken am Boden lag.
„Was machst du? Lass das! Bist du verrückt?“, schrie er. In seiner Stimme lag Angst.
„Mein Name ist Christine. Wir waren gemeinsam in der Hauptschule. Ich war 2 Klassen unter dir. 2C. Erinnerst du dich?“
Ich stand jetzt mit den Füßen genau neben seinem Kopf und blickte lächelnd auf ihn herab.
„Du und deine zwei Freunde fanden es damals ziemlich lustig als ihr mich auf einen Sessel am Sportplatz gefesselt habt. Klingelt da was?“
Markus sah mich an, als hätte er einen Geist gesehen.
„Chris … Christine?“, stottere er.
Ich nickte.
„Ihr habt mich so schön als Ziel präsentiert. Habt mir auf meinem Oberkörper eine Zielscheibe gemalt und jeder durfte mal mit dem Basketball werfen. Als wäre das nicht genug, musstet ihr mich dann ja auch noch über Nacht an einen Lichtmasten gebunden dort lassen. Und da ihr nicht riskieren wolltet, dass ich petzte, habt ihr mir auch noch meine Katze in den Schulspind gelegt. Sie war übrigens tot.“
„Das war doch … das war doch nur Spaß.“, sagte er leise. „Wir waren Kinder.“
„Mhm. Ich fand es auch irrsinnig lustig.“, lachte ich.
„Ich fand es tatsächlich so lustig, dass ich jahrelang in Therapie musste und alleine nichts auf die Reihe bekomme. Und das seit fast 10 Jahren. Aber ich stell dir mal jemanden vor der mir sehr geholfen hat. Sie ist meine beste Freundin und begleitet mich eigentlich seit diesem Vorfall. Sie ist ein bisschen anders als ich. Ich bin mehr der introvertierte Typ. Manche sagen, dass ich nie älter als 12 Jahre geworden bin. Sie ist eher so der extrovertierte Mensch. Hat ein kleines Aggressionsproblem und übertreibt sehr oft. Also, sag Hallo zu Stefanie.“
Was Markus dann sah, konnte er sich nicht erklären. Christine drehte sich wie ein Kleinkind einmal um sich selbst und kicherte dabei. Als sie mit dem Gesicht wieder zu ihm stand, sah er einen völlig anderen Menschen. Nicht mehr diese kindliche Person, sondern einen erwachsenen Menschen. Das Grinsen in ihrem Gesicht glich das einer Wahnsinnigen und ihre Augen schienen viel dunkler zu sein.
„Was … wie …?, stammelte er.
Stefanie packte das Seil und zog ihn Richtung Klippe. Am Rand der Klippe stellte sie Markus mit dem Rücken zum Abgrund auf.
„Hör zu .. lass das! Ich flehe dich an! Ich habe eine Frau und Kinder! Bitte, ich sag auch niemanden, was passiert ist!“, flehte er um sein Leben.
Stefanie legte den Kopf zur Seite und grinste.
„Ich habe Frau und Kinder.“, äffte sie ihn nach. „Weißt du was ich schon immer wissen wollte?“, fragte sie ihn. Ohne wirklich eine Antwort zu wollen.
Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und grinste ihn an.
„Ob Arschlöcher fliegen können.“ - dann gab sie ihm einen Schubs und er flog.
Arschlöcher können nicht fliegen, oder Stefanie?, fragte Christine.
„Nein, Süße! Können sie nicht.“, antwortete sie und grinste.
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Kommentare
Die Geschichte hat mir gut gefallen - das Ende war überraschend ganz anders als ich mir vorgestellt habe🤣🤣🤗
wieder eine tolle Geschichte😍