„Komm, setz dich. Du arme. Ist da was passiert? Hast da weh tan?“
Hilde zog Liz sofort in ihr Haus und verfrachtete sie im Wohnbereich.
Sie zupfte an Liz herum und untersuchte sie nach irgendetwas.
Thorsten stand in der Tür und beobachtete alles grinsend.
Liz war sein dämliches Grinsen nicht entgangen. Er hatte es seit heute Vormittag und sie konnte es nicht leiden.
Es war ein falsches Grinsen.
Hilde hörte nicht auf an Liz herum zu suchen, bis Liz abrupt aufstand und sich von Hildes Blicken und Fingern befreite.
„Es ist alles gut. Danke! Ich muss mal eben telefonieren.“
Sie ging aus dem Haus hinaus und holte ihr Handy aus der Tasche.
Sie wählte die Nummer ihrer Mutter, aber es kam kein Freizeichen. Jedes mal, wenn Liz auf den Namen ihrer Mutter tippte, legte das Handy sofort wieder auf.
Kein Signal.
In ihr kochte alles. Sie fühlte sich wie in einem schlechten Film. Sie wusste, dass hier etwas nicht stimmte, konnte aber nicht sagen was.
Sie steckte ihr Handy wieder ein und ging hinein.
„Ich muss noch kurz in mein Haus. Bin gleich wieder da.“
„Ich kann dich fahren!“, rief Thorsten und ging ihr nach.
„Nein! Ich gehe zu Fuß! Danke!“, erwiderte sie.
Sie drehte sich nicht um und ging einfach die Einfahrt entlang zur Hauptstraße. Liz spürte die Blicke von Thorsten und Hilde im Rücken, also ging sie etwas schneller.
Als sie auf die Hauptstraße kam und außer Sichtweite des Hauses war, verlangsamte sie ihren Schritt und atmete schwer aus.
Ein Blick auf ihr Handy verriet ihr, dass sie noch immer kein Signal hatte.
„Ich muss hier endlich weg. Und wenn ich zu Fuß gehe.“
Es war aber bereits nach 15 Uhr und sie hatte keine Lust mitten in der Nacht irgendwo herum zu spazieren.
Und schon gar nicht, wenn verrückte Leute ihr ihm Nacken saßen.
Sie kam zur Einfahrt ihres Grundstücks und sofort fühlte sie sich besser, leichter und nicht mehr ständig unter Beobachtung.
Sie setzte sich auf ihre Bank und versuchte sich zu entspannen.
Es dauerte keine fünf Minuten, da kam der Rabe angeflogen.
Liz wusste nicht, ob es immer derselbe war, aber sie hatte so ein Gefühl.
Er setzte sich wieder auf das Geländer, legte seinen Kopf zur Seite und sah Liz an. Er krähte und flatterte zwei mal mit seinen Flügel. Dieses mal aber nicht hektisch.
„Ich nehme an, dass du mir sagen willst, dass ich hier abhauen soll.“, sagte Liz und musste dabei lachen. Sie hatte das Gefühl, dass dieser Vogel das einzige normale Lebewesen in dieser Gegend war.
„Okay, hier sitzen wir. Und was jetzt? Ich habe da drinnen nicht mal eine Couch. Heißt, ich kann hier nicht schlafen.“
Sie lehnte sich nach vorne, legte ihren Kopf in ihre Hände und seufzte.
„Mein Auto ist bei einem liebeshungrigen Typen, mein Handy hat kein Signal und der einzig normale hier ist ein Rabe.“
Sie setzte sich wieder gerade auf und blickte den Raben direkt an.
„Was mach ich jetzt?“, fragte sie ihn verzweifelt. „Ich sitze hier fest.“
Sie blieb noch eine Weile sitzen und suchte nach Lösungen. Der Rabe blieb die ganze Zeit am Geländer. Als sie dann aber beschloss aufzustehen, flog er weg. Sie sperrte die Haustür auf und ging in das Haus. Sofort stieg ihr wieder dieser abartige Geruch nach Gülle in die Nase. Da sie wusste, dass es sinnlos war die Fenster zu öffnen, tat sie es nicht. Sie sperrte die Tür hinter sich ab.
„Toll. Paranoid bin ich auch schon.“
Dann ging sie in den ersten Stock hinauf. Das tat sie normalerweise nie, aber sie hatte die Hoffnung, dort oben dem Gestank zu entkommen. Er wurde aber nicht besser. Ganz im Gegenteil. Die Stufen der Holztreppe knarrten und das Geländer wackelte leicht. Oben abgekommen ging sie links nach hinten. Dort lag früher ihr Zimmer. Das ihrer Großeltern war gleich gegenüber der Treppe. Dazwischen gab es ein Badezimmer, ein Ankleidezimmer und eine separate Toilette. Sie hatte noch vor den oberen Stock ordentlich zu renovieren, aber ihre fehlt die Zeit und vor allem das Geld.
Als sie vor der Tür ihres Zimmers stand, blieb sie einen Moment stehen. Sie legte ihr rechts Ohr sanft an die Tür und lauschte. Warum sie das tat, konnte sie sich nicht erklären. Vielleicht lag es an den seltsamen Gerüchen hier, an den komischen Menschen in dem Dort oder an der Erinnerung, das hier gestern jemand drinnen war, als sie wegfuhr. Sie legte ihre rechte Hand flach an die Tür und drückte sie vorsichtig auf. Als sie drinnen stand, überflog sie in unbehagliches Gefühl. Es war irgendwie seltsam hier oben zu sein.
Als ihre Großeltern gestorben waren, hatte sie keinen Fuß mehr in den oberen Stock getan. Und jetzt stand sie mitten in ihrem alten Zimmer. Alten und leeren Zimmer. Sie hatte alles wegbringen lassen. Die Möbel waren zu alt um sie mit zu verkaufen. Sie wollte alles neu einrichten.
„So ändern sich die Dinge.“
Sie blickte nach unten und bemerkte, dass der Boden komplett staubig war. Aber der Staub war nicht das, was sie beunruhigte. Sondern die Fußabdrücke darin. Und sie führten zum Fenster, welches den Blick auf die Einfahrt hatte. Sie stellte ihren rechten Fuß neben dem rechten Abdruck.
„Größer.“
Sie sah sich im Zimmer um. Hier war aber nichts. Kein Schrank, kein Bett oder Schreibtisch. Dieses Zimmer war leer.
Sie folgte den Abdrücken zum Fenster. Stellte sich aber nicht direkt davor, sondern daneben, als würde sie sich verstecken.
„Wovor, bitte?“, fragte sie sich selbst.
Sie lehnte sich mit den Rücken gegen die Wand und seufzte.
Liz fiel auf, dass der Gestank hier nicht mehr so stark war.
„Vielleicht habe ich mich aber auch nur daran gewöhnt.“, lachte sie.
Sie stieß sich von der Wand ab und drehte sich zum Fenster.
Ruckartig ging sie ein paar Schritte vom Fenster weg. Da unten stand jemand mitten in ihrer Einfahrt. Langsam lehnte sie sich etwas nach vorne. Ja, da stand jemand, sah sich um und ging auf ihr Haus zu. Die Person hob den Kopf und Liz ließ sich instinktiv auf den Boden fallen.
Sie kroch neben das Fenster, stand auf und spähte vorsichtig hinunter. Die Person stand nach wie vor mitten in der Einfahrt. Ihre rechte Hand hielt sie zum Kopf. Wahrscheinlich telefonierte er oder sie. Es war nicht zu erkennen, denn die Person trug einen Hut. Einen Strohhut. Sie hatte sofort eine Vermutung. Dieser jemand setzte sich wieder in Bewegung, Richtung Haus und Liz sah, wie er die Veranda hinaufging. Dann konnte sie nichts mehr sehen, aber hören. Es hämmerte drei mal gegen die Tür unten.
Dann rief jemand laut „Hallo?“
Liz hielt automatisch die Luft an und legte ihre rechte Hand über Mund und Nase.
„Hallo?“, rief wieder jemand.
Dann folgte ein Schrei. Liz sah wie die Person weglief. Hinter ihr tauchte der Rabe auf und verfolgte den Menschen. Er flog auf den Kopf der Person und riss den Hut weg.
Da erkannte Liz ihn. Thorsten. Der Rabe attackierte ihn ein paar Mal und flatterte dabei wie wild mit den Flügel. Thorsten fuchtelte wie wild mit seinen Armen herum, fluchte und versuchte ihm auszuweichen. Er war aber erfolglos. Der Rabe ließ nicht locker und trieb ihn tatsächlich die Einfahrt hinaus zur Hauptstraße. Dann flog er seelenruhig zurück Richtung Haus.
Liz nahm ihre Hand vom Gesicht und atmete wieder ruhig.
Der Rabe kam herauf und setzte sich auf das schmale Brett vor dem Fenster. Er klopfte mit seinem Schnabel gegen das Glas. Liz öffnete das Fenster und er flog herein.
„Na, du bist mir ja einer.“, lachte Liz. „Besser als jede Alarmanlage.“
Der Rabe setzte sich auf den Boden und starrte zur Zimmertür in den Flur hinaus. Er begann zu krähen, stieß sich vom Boden ab und flog im Zimmer eine Runde bevor er wieder nach draußen verschwand.
Liz hatte mit Tieren nicht fiel am Hut. Ihre Eltern wollten keine im Haus, denn die würden überall nur Haare verlieren und das ständige Spazierengehen oder Klo reinigen. Dafür hätte niemand Zeit. Liz wusste aber, dass sie selbst Zeit gehabt hätte.
Umso zufriedener war sie, dass sie einen neuen Freund in dem Raben gefunden hatte. Sie wusste zwar noch nicht, was er hier wollte, aber sie war froh um ihn.
Sie schloss das Fenster und verließ das Zimmer wieder. Sobald sie draußen am Gang stand, wurde der Gestank wieder etwas stärker.
„Wieso? Woher kommst du?“, seufzte sie.
Sie ging Richtung Treppe und der Geruch wurde immer stärker. Liz blieb eine Weile vor dem Zimmer ihrer Großeltern stehen. Sie hob ihre rechte Hand und wollte sie auf die Türklinke legen. Irgendetwas in ihr ließ sie aber zusammenzucken und sie zog ihre Hand wieder zurück.
„Vielleicht morgen.“
Kommentar hinzufügen
Kommentare