Liz klopfte an die Tür von Otto. Sie wusste zwar, dass die Tür offen war, aber einfach hineingehen erschien ihr unhöflich.
Es war Hilde die ihr öffnete und sie hinein ließ.
„Und du bist da wirklich sicher, dass du heute scho fahren willst? Willst dich nicht noch a Nacht ausruhen?“
Hilde ging ihr durch das ganze Haus hinterher, beobachtete sie beim zusammenpacken ihrer Sachen und redete auf sie ein noch einen Tag hierzubleiben.
„Hilde, das ist wirklich sehr lieb von euch, aber ich hab vorhin eine Nachricht von meinen Chef bekommen und die war nicht gerade nett.“, sagte Liz so freundlich wie möglich. Sie wollte weder unhöflich noch undankbar sein, aber sie fühlte sich hier nicht wohl. Nicht bei Otto und Hilde, nicht auf ihrem Grundstück und überhaupt wollte sie in dieser Gegend nicht bleiben.
„Dann bleib doch noch wenigstens zum Mittagessen. Dann fahrst ned mit an Hunger heim. Ja?“, fragte Hilde.
Liz stimmte zu. Auch wenn innerlich ihr jemand entgegen schrie, endlich abzuhauen, wollte sie zu einem letzten Essen nicht nein sagen.
„Kommt Otto auch zum Mittagessen?“, fragte Liz.
„Nein.“, lachte Hilde. „Der ist heut mit seinen Männern vom Jagdverein unterwegs. Einmal im Monat gehens in den Wald und schauen ob alles passt. Tierbestand kontrollieren und so Sachen. Für uns Frauen is das ja nix. Und da sind's bis spät am Abend unterwegs. Deswegen kommen die Frauen heut um 18 Uhr zu mir zum Rosenkranz beten. Schad, dass du ned da bleibst. Das hätt da sicher gefallen.“, sagte Hilde.
Sie stellte Liz ein Teller mit Schweinsbraten und Semmelknödel hin.
„Mei, jetzt hab ich dich gar nicht gefragt, ob du sowas ist?“
„Ja, das tu ich. Danke!“, lächelte Liz höflich.
Sie saßen etwa eine Stunde zusammen und aßen zu Mittag. Hilde war wieder in ihrer Stimmung von gestern Abend und erzählte die Geschichten von früheren Zeiten. Liz kam das ganz recht, denn so musste sie nichts reden.
„Richte dem Otto schöne Grüße aus und sag ihm auch Danke von mir. Ihr habt mich gestern echt gerettet!“, sagte Liz und verabschiedete sich von Hilde. Sie umarmten sich und Hilde winkte ihr beim wegfahren aus der Einfahrt noch zu.
Als Liz die Ausfahrt der Ortschaft erreichte und das Ortsschild im Rückspiegel immer kleiner werden sah, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Für sie fühlte es sich wie ein Befreiungsschlag an. Sie roch auch nicht mehr so stark nach Gülle.
Nach einer Weile auf der Landstraße rief sie über die Freisprecheinrichtung ihre Mutter an.
„Na endlich rufst du an! Ich wollte schon losfahren!“, hörte sie ihre Mutter.
„Ich sitze im Auto. Bin vor 15 Minuten losgefahren.“, sagte Liz.
„War noch irgendetwas?“, fragte ihre Mutter.
„Nein, alles in Ordnung. I... Ich habe n...n...“
„Liz, ich höre dich nicht. Deine Verbindung ist ganz schlecht.“
„J … Ja … I... gera … Wald …!“
Dann war das Telefonat beendet. Liz sah am Display ihres Telefons, dass sie keinen Empfang hatte.
„Diese dämliche Wald!“, fluchte sie. Schon als Kind konnte sie es nicht leiden durch diesen Abschnitt der Strecke zu fahren. Es war eine Landstraße, gerade so breit, dass zwei Autos nebeneinander Platz hatten. Mit einem Traktor wäre eine Begegnung nicht so toll.
Rechts und links von der Straße befand sich nur Wald. Die Bäume drängten sich dicht nebeneinander und ließen so gut wie kein Licht durch. Auch wenn es nur knappe sechs Kilometer waren, fühlte sie sich erst sicher, wenn sie am anderen Ende wieder raus kam.
Liz atmete tief durch, beruhigte sich in Gedanken selbst und fuhr einfach weiter.
In der Mitte der Strecke machte es plötzlich einen Knall. Das Auto kam ins Schleudern. Liz stieg mit aller Kraft auf die Bremse und brachte ihren VW quer zur Fahrbahn zum stehen. Links vorne rauchte es.
„Nein! Nein! Bitte nicht. Tu mir das nicht an!“
Sie stieg aus und sah, dass der linke Vorderreifen geplatzt war.
„Wieso? Was habe ich auf dieser Welt verbrochen, damit ich das verdiene?“, schrie sie in den Wald hinein.
Sie holte ihr Handy aus dem Auto und wählte den Notruf.
„Wir sind in etwa 10 Minuten da. Warten sie bitte beim Auto!“
>Wo soll ich denn sonst hin?<, dachte sie sich.
Nach etwa 20 Minuten kam dann endlich ein Abschleppwagen angefahren. Als die Autotür aufging, staunte Liz nicht schlecht. Es war der Strohhuttyp von heute.
„Ich habe den Notruf schon gewählt. Sie müssen nicht extra wegen mir stehen bleiben.“, sagte Liz.
„Ich bin der Notruf.“, grinste er. „Alle Anrufe gehen an mich weiter. Ich bin bei der Feuerwehr hier im Dorf. Und da wir am nächsten dran sind, kommt alles zu mir.“
„Ah. Wie schön.“, erwiderte Liz. Sie versuchte ihren Sarkasmus hinter einem aufgesetzten Lächeln zu verstecken.
„Also, was ist passiert?“, fragte er.
Liz ging bei Seite und deutete auf den geplatzten Reifen.
„Okay, das sieht nicht gut aus. Ich werde ihr Auto zu mir in die Werkstatt abschleppen und besorgen wir einen neuen Reifen. Sie können bei mir einsteigen.“
Liz stieg bei ihm auf der Beifahrerseite ein und beobachtete ihn durch den Rückspiegel. Er machte an ihrem Auto vorne das Abschleppseil an und zog ihren VW auf die Laderampe. Dann setzte er sich neben ihr in das Auto und fuhr los.
„Das wird vermutlich ein paar Tage dauern, bis dass ich den Ersatzreifen habe.“
„Kein Problem. Ich werde meinen Eltern Bescheid geben. Sie holen mich sicher ab.“, erwiderte Liz.
Sie hielt ihr Handy fest umklammert in beiden Händen. Ihr war so einiges an dieser Situation nicht ganz koscher.
„Sie können mich aber bei meinem Haus aussteigen lassen.“
Er sah sie verwirrt an.
„Wieso?“
„Na, ich hab dort eine Couch wo ich schlafen kann. Also braucht sich niemand meiner annehmen.“
Liz wusste genau was er vor hatte und sie wollte dem ganzen aus dem Weg gehen.
„Und dann kann ich mir von Hilde ständig Vorwürfe anhören? Nein, ich bringe sie schön brav zu den beiden zurück.“, antwortete er.
Die restliche Autofahrt schwieg Liz. Thorsten redete die ganze Zeit vor sich hin. Er erzählte ihr wie gut die Gemeinschaft in dem Ort zusammenhelfen würde und sich alle freuen würden, wenn jemand neuer in das Haus einziehen würde. Vor allem wäre es toll, wenn wieder eine junge Familie hier leben würde. Er wünsche sich schon langem eine passende Frau mit der er das Landleben genießen und Kinder haben könnte. Nachwuchs sei ihm besonders wichtig, denn eine Familie ohne Kinder hätte nicht viel Sinn. Dann fragte er Liz ob sie einen Partner hätte und ob sie sich Kinder wünschen würde.
Sie sah ihn stirnrunzelnd an.
„Ich wüsste jetzt nicht, was genau sie das angeht.“, antwortete sie.
„Sei mal nicht so schüchtern. Das ist eine ganz normale Frage die man sich stellt, wenn man sich kennenlernt.“, sagte er.
In Liz' Kopf begann es zu rattern. Dachte der Typ ernsthaft, sie sei an ihm interessiert oder sie könnten sich näher kennenlernen?
„Außerdem, wer weiß was noch alles passiert?“, zwinkerte er ihr zu.
Am liebsten wäre sie aus dem Auto gesprungen und zu Fuß zurück nach Hause gelaufen.
Nach etwa 15 Minuten, die sich wie eine Stunde angefühlt hatten, bog er in die Einfahrt von Hilde und Otto ein. Und welch ein Wunder. Hilde stand bereits in der Tür und winkte den beide zu.
„Das wird ja immer besser.“, murmelte Liz.
„Was?“, fragte er.
„Nichts.“
Kommentar hinzufügen
Kommentare