„Na da haben sie sich ja was angetan mit dem Haus.“
Der Installateur stand auf der Veranda und hielt sich seine rechte Hand vor sein Gesicht.
„Sie riechen das auch?“, fragte ihn Liz erstaunt.
„Wie kann man das nicht riechen? Das ist widerlich. Seit wann hängt der Gestank in dem Haus?“
„Seit gestern Nacht.“, antwortete Liz und übergab sich beinahe.
Er ging wieder zu seinem Auto und holte zwei Masken.
„Sind zwar keine Gasmasken – die würden wir definitiv brauchen – aber besser als nichts.“
Er reichte Liz eine und sie setzten die Masken auf.
Dann gingen sie beide in das Haus und in die Küche. Die Masken halfen nur ein kleines bisschen. Ihre Augen brannten aber gleich wieder wie letzte Nacht.
Der Installateur holte sein Werkzeug heraus und begann die Rohre des Abflusses abzumontieren. Er stellte sicherheitshalber einen Plastikkübel darunter, auch wenn Liz versicherte, dass das Wasser seit Monaten abgedreht sei.
Das ganze erwies sich als ziemlich klug. Denn als der Installateur die Rohre abmontierte, floss in den Kübel eine braune Flüssigkeit. Und die stank genauso schlimm wie der Rest des Hauses. Es sah aus wie Gülle und es hörte nicht auf zu fließen.
Der Installateur sprang auf und rannte zu seinem Auto. Er holte zwei weitere Kübel. Liz stand nur wie erstarrt da und konnte nicht glauben was hier passierte.
„Ich dachte die Rohre wären leer?“, rief er zu Liz.
„Das dachte ich auch.“, antwortete sie.
„Haben sie hier einen Keller? Einen Brunnen? Oder war hier irgendwann mal irgendwo eine Jauchegrube?“
Liz zuckte nur mit den Schultern. Sie wusste es nicht. Sie hatte keine Pläne von dem Grundstück und dem Haus. Liz hatte alles abgesucht, aber nichts gefunden.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Liz ihn nervös.
„Warten.“, antwortete er trocken.
Und sie warteten beinahe eine Stunde. Zwischendurch leerten sie die Kübel hinter dem Haus aus. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Sie hatte keine Möglichkeit die Flüssigkeit wegzufahren oder richtig zu entsorgen.
Als endlich keine braune Flüssigkeit mehr raus kam, reinigten sie die Rohre mit dem Wasser aus den Kanistern des Installateur. Der Mann dachte anscheinend an alles.
„So, da haben wir ihren Schlüssel.“, sagte er und warf ihn Liz zu.
„Gott sei Dank! Ich kann ihnen gar nicht sagen wie dankbar ich ihnen bin und wie Leid mir das alles tut.“, erwiderte sie.
Er winkte nur ab.
„Machen sie sich keinen Kopf. Ich hab schon schlimmeres erlebt. Zugegeben, das war heute schon nah dran, aber das ist Berufsrisiko.“, lachte er.
Er verabschiedete sich und Liz setzte sich auf die Bank. Sie roch an ihren Haaren.
„Oh Gott, ist das ekelhaft.“
Sie nahm ihr Handy aus ihrer Hosentasche und rief ihre Mutter an.
„Hast du bist jetzt geschlafen?“, erklang es skeptisch an der anderen Leitung.
„Nein, Mutter. Ich bin bereits beim Haus und versuche hier alles unter Kontrolle zu haben.“
Ihre Mutter seufzte.
„Wer hat dir erzählt, dass Oma und Opa das Haus verkaufen wollten?“, fragte sie.
„Die Nachbarn. Otto und Hilde heißen die beiden. Es gab gestern einen kleinen Vorfall am Grundstück und Otto hat mir dann angeboten bei ihnen zu schlafen ...“
„Liz!“, unterbrach ihre Mutter sie energisch.
„Sag mir, dass du nicht bei den zwei Verrückten geschlafen hast?“
„Naja, was blieb mir anders übrig. Es war schon spät und ...“
„Halt dich von denen fern! Ich warne dich nur das eine mal, Elisabeth!“. Die Stimme ihrer Mutter wurde lauter und Liz war verblüfft, dass sie bei ihrem vollen Namen genannt wurde.
„Die zwei haben es schon immer auf das Grundstück abgesehen. Lass dir ja keinen Blödsinn erzählen, hörst du mich?“, fragte ihre Mutter.
„Ja, habe ich verstanden.“, erwiderte Liz.
„Am besten du fährst sofort nach Hause, wenn alles erledigt ist. Und wenn etwas nicht stimmen sollte, dann rufst du mich oder Papa an! Wir holen dich.“
„Alles klar. Ich melde mich bei dir, sobald ich am Heimweg bin, okay?“, sagte Liz.
„Gut. Ich warte auf deinen Anruf. Bis nachher.“
Liz blickte verwirrt auf ihr Handy.
„Was war denn das?“
Sie hatte schon oft Diskussionen mit ihrer Mutter, aber selten wurde sie dabei mit ihrem vollem Namen angesprochen. Irgendetwas lag in der Stimme ihrer Mutter, das Liz seltsam vorkam. Und irgendetwas war hier absolut nicht in Ordnung.
Die Polizisten konnten den Gestank nicht riechen, der Installateur schon.
Dann die braune Flüssigkeit, die aus den Rohren in der Küche kam, obwohl das Wasser seit Monaten abgedreht war. Und Liz hatte die Rohre auch alle reinigen und durchspülen lassen.
Während sie in Gedanken sich alles mögliche zusammenreimte, kam der Rabe wieder angeflogen. Er setzte sich wieder seelenruhig auf das Geländer und beobachtete Liz.
„Und was du von mir willst, ist mir auch noch nicht klar.“, sagte sie zu ihm.
Der Rabe legte seinen Kopf zur Seite und krähte. Dann drehte er sich um, flatterte wie wild mit seinen Flügeln, krähte dabei wie verrückt und flog wieder davon.
„Anscheinend sind in dieser Gegend alle verrückt.“, sagte Liz zu sich selbst.
„Nicht alle. Nur die Alten.“, sagte eine Stimme rechts neben ihr.
Liz erschreckte und ließ ihr Handy fallen.
„Entschuldigung. Ich wollte dich nicht erschrecken.“, lachte die Person.
Rechts neben der Veranda stand ein Mann und lehnte sich mit seinen Armen auf das Geländer. Er wirkte – im Gegensatz zu den anderen Bewohnern dieser Gegend – relativ jung. Ende 30, maximal Mitte 40. Liz fand, dass er wirklich gut aussah. Schwarze Haare, blaue Augen und guter Kleidungsstil. Er hatte einen Strohhut auf und kaute auf einem Grashalm herum. Das wiederum fand Liz zu Klischeehaft und irgendwie übertrieben. Was wollte er damit sagen?
>Hallo? Ich bin ein Landwirt?<
Sie starrte ihn einfach weiter an ohne zu bemerken, dass ihr Mund offen stand. Der Mann ging nach vorne, zur Treppe der Veranda.
„Darf ich?“, fragte er und zeigte auf den Stuhl neben der Bank.
Liz wachte aus ihrer Starre wieder auf.
„Ja, natürlich. Entschuldigen sie. Setzten sie sich. Ich kann ihnen leider nichts zu trinken anbieten ...“
„Ja, das weiß ich. Ist kein Problem.“, lächelte er.
Sie sah ihn skeptisch an.
„Woher wissen sie das?“
„Naja, das Haus steht seit Jahren leer. Wäre ziemlich riskant das Wasser nicht abzudrehen. Stellen sie sich mal vor, sie hätten einen Wasserschaden. Puh, das wäre bei diesem Haus eine echte finanzielle Belastung.“, sagte er.
In Liz' Kopf rasten die Gedanken hin und her. Wer war er? Woher kam er? Und warum kam er von hinten vom Haus und nicht von vorne aus der Einfahrt?
„Darf ich fragen wer sie sind und wie ich ihnen helfen kann?“, fragte Liz.
Der Typ lachte wieder.
„Entschuldigen sie, wie unhöflich. Mein Name ist Thorsten!“
Er streckte Liz seine Hand entgegen.
„Hi, ich bin Liz. Wie kommen sie auf mein Grundstück?“, fragte sie ihn mit einem leichten Unterton.
„Hinten ist alles offen. Mein Haus ist etwa einen Kilometer von ihrem entfernt. Ich habe gestern Nacht die Polizeilichter gesehen und dachte, ich schaue heute mal vorbei ob alles in Ordnung ist.“, lächelte er.
Liz wusste nicht so ganz was sie von diesem Lächeln halten sollte. Er saß neben ihr auf dem Stuhl, kerzengerade, beide Beine auf den Boden gestellt und hatte ständig dieses dämliche Grinsen im Gesicht. Sie kannte diese Art von Menschen aus dem Gerichtssaal, wenn sie ihrer Mutter bei einer Verhandlung zusah. Meistens hatten Menschen Hintergedanken oder einen fiesen Plan, wenn sie so ein Grinsen aufsetzten.
„Ähm, ja, war eine aufregende Nacht gestern. Verzeihen sie den Gestank, ich weiß noch nicht ...“
„Ich rieche nichts.“ sagte er etwas verwundert.
„Okay, dann habe ich wahrscheinlich einen falschen Geruch in der Nase.“, lächelte Liz freundlich.
„Danke, dass sie da waren. Sehr freundlich. Es ist alles in Ordnung. Wenn sie mich entschuldigen, ich muss noch einiges erledigen vor meiner Abreise.“, sagte Liz, stand auf und deutete dem Gast zur Treppe der Veranda.
„Natürlich, kein Problem. Aber ich dachte, sie würden heute Nacht noch bei Otto und Hilde bleiben?“
In Liz rebellierten alle Alarmglocken die sie hatte. Alles in ihrem Körper wehrte sich gegen diese Unterhaltung, gegen diesen Menschen und gegen diesen Ort. Hier wussten alle über alles und jeden Bescheid. Und Liz war klar, dass das nichts Gutes bedeuten würde.
„Ja, ich wollte noch bleiben, aber meine Mutter hat mich heute angerufen.“
„Lassen sie mich raten. Ein Notfall, zu Hause, oder?“, sagte er.
Liz gefiel dieser Ton in seiner Stimme nicht.
„Nein, kein Notfall. Aber ich bin morgen sehr früh mit meinen Eltern verabredet und das ist meist sehr anstrengend. Daher möchte ich in Ruhe, zu Hause in meinem Bett, schlafen und meine Energie für meine anstrengenden Eltern sammeln“, antwortete sie ihm.
„Verzeihung. Ich wollte nicht unhöflich sein. Einen schönen Tag noch und kommen sie gut nach Hause.“
Er zwinkerte ihr zu und verließ das Grundstück. Nicht vorne bei der Einfahrt, sondern hinten durch den Garten.
„Zaun! Definitiv. Hier muss ein Zaun her!“, sagte Liz zu sich selbst.
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