Liz saß auf der Bank vor dem Küchenfenster als das Polizeiauto in ihre Einfahrt einbog. Die beiden Polizisten vom Nachmittag stiegen aus dem Auto aus und stellten sich vor das Geländer der Veranda.
„Okay, wir sind hier. Was ist passiert?“
Liz deutete auf die Eingangstür.
„Als ich hier hergekommen bin, war der Kabelbinder durchschnitten. Und jemand muss im Haus gewesen sein, denn ich habe Licht gesehen.“
Die beiden Polizisten sahen sich skeptisch an und gingen zu Tür.
„Achtung!“, rief Liz. „Das ganze Haus stinkt nach Jauche. Ich habe keine Ahnung wo der Gestand herkommt. Am besten sie decken ihre Nase und ihren Mund zu.“
Die Polizisten zuckten mit den Schultern und gingen hinein.
„Also ich weiß nicht was sie meinen, Frau Starling. Hier riecht es nach gar nichts. Vielleicht etwas modrig, aber das ist normal bei so alten Häusern.“, rief einer der Polizisten nach draußen.
Liz sprang auf und ging zu den beiden in das Haus.
Wieder kroch ihr der Gestank von Jauchegrube in die Nase und den Mund und sie übergab sich beinahe.
Sie ging nach draußen und rang nach Lust.
„Sie riechen das nicht?“, fragte sie die Polizisten.
Beide schüttelten den Kopf.
Die Polizisten gingen durch den unteren Stock und sahen sich um. Nach etwa zehn Minuten kamen sie aber wieder nach draußen.
„Wir können hier nichts verdächtiges sehen. Ja, der Kabelbinder wurde durchschnitten, aber im Haus dürfte niemand gewesen sein. Alles so, wie am Nachmittag.“
Liz sah die beiden skeptisch an.
„Und die Lichter? Die haben sich von selbst angemacht?“
Während einer der Polizisten zu dem Auto zurück ging, blieb der andere bei Liz.
Er legte seine rechte Hand auf ihren Rücken und schob sie sanft die Treppe hinunter.
„Vielleicht ein Fehler im Stromkreislauf?“, sagte er.
In diesem Moment flog der Rabe bei ihnen vorbei und setzte sich wieder auf das Geländer der Veranda.
Er krähte und flatterte mit den Flügeln. Auf Liz wirkte er, als wäre er nervös.
Der Polizist nahm seine Hand von Liz Rücken und ging einen Schritt zurück. Er blickte nervös zu dem Raben.
„Hören sie, wir können hier nicht viel tun. Versperren sie es gut, wenn sie den Schlüssel wieder haben.“
Die Polizisten verschwanden ohne sich zu verabschieden oder irgendwelche Informationen aufzuschreiben.
Als sie die Einfahrt verließen und auf die Hauptstraße fuhren, beruhigte sich der Rabe. Er blieb auf dem Geländer sitzen und blickte in der Dunkelheit herum.
„Okay, du findest es hier anscheinend ganz toll. Ich werde dir etwas zu Trinken und Essen besorgen.“, sagte Liz zu dem Raben.
In dem Moment wo sie es ausgesprochen hatte, fragte sie sich, wieso sie eigentlich mit einem Raben sprach.
„Wahrscheinlich, weil sonst keiner mit mir redet.“, beantwortete sie sich selbst ihre Frage.
Liz drehte sich um und blickte zur Haustür. Sie konnte sich nicht erklären, warum die Polizisten diesen Geruch nicht wahrnahmen. Oder hatten sie ihn gerochen und nur so getan? Oder waren sie diesen Gestand vielleicht schon so gewohnt, dass sie ihn gar nicht mehr wahrnehmen konnten?
Liz seufzte. Sie wusste, dass hier irgendetwas nicht stimmte, aber sie konnte sich nicht erklären, was.
Sie blickte auf ihr Handy. Kurz nach 5.
„Na dann. Das war's. Bis jetzt zumindest.“
Sie ging ins Haus und schloss alle Fenster und Türen. Dabei hatte sie immer ihre rechte Hand über Mund und Nase. Ihr kam der Gestank jetzt sogar noch stärker vor als sie ihn das erste mal roch.
Die Haustür machte sie zu und stellte die Bank von der Veranda davor.
„Vielleicht hilft das.“
Der Rabe blieb auf dem Geländer der Veranda sitzen und beobachtete sie. Als Liz das Grundstück verließ, flog er weg.
Nach einer halben Stunde kam sie wieder bei Otto und Hilde im Haus an. Sie wollte sich gerade zurück in ihr Zimmer schleichen, als Hilde ihr über den Weg lief.
„Na, was machstn du schon auf?“ fragte sie Liz.
Liz versuchte eine Erklärung zu finden, kam aber nicht dazu, weil Hilde sie sofort in den Wohnraum mitnahm.
„Komm, ich mach da an Tee. Willst essen auch was?“
Liz schüttelte den Kopf.
„Hast nicht schlafen können, gell? Ja, denk ich ma. Ich hab das auch, wenn ich das erste mal wo anders schlaf. Das is ganz normal. Wirst sehen, heut wird’s besser.“
Liz sah sie fragend an. „Wieso heute?“
„Na du wirst ja heut noch da bleiben, oder?“, antwortete Hilde.
Liz hatte eigentlich einen ganz anderen Plan. Sie wollte, sobald der Installateur fertig war, nach Hause fahren.
„Ich mein, die ganze Fahrerei is ja anstrengend. Bleibst noch eine Nacht, dann bist ausgeschlafen und am Sonntag kannst in Ruhe heimfahren, gell?“
Liz wollte etwas erwidern, kam aber nicht dazu, denn Hilde redete einfach weiter. Sie erzählte ihr den gesamten Ablauf des heutigen Tages. Und für den Nachmittag hatte sie Liz sogar mit eingeplant.
Nach dem Mittagessen würden sie eine Runde spazieren gehen. Das machte Hilde anscheinend immer. Und dabei konnten sie ja auch am Friedhof vorbei schauen und Hilde's Eltern besuchen. Danach würden sie einer Nachbarin einen Besuch abstatten und spätestens um 5 am Nachmittag zu Hause sein.
„Weißt, um 18 Uhr tun ma nämlich Rosenkranz beten. Das mach ma jeden Samstag. Das wird dir gut tun. Kannst mir glauben. Hätte deinen Großeltern auch gut tan.“
Liz fiel Hilde's Unterton bei der Erwähnung ihrer Großeltern auf.
„Waren meine Großeltern keine gläubigen Menschen?“, fragte Liz. Sie war neugierig geworden und hatte das Gefühl, dass sie Hilde gerade in einem Moment der Redseligkeit erwischt hatte. Liz' Müdigkeit war ziemlich schnell verschwunden.
Hilde kam aber nicht dazu ihr zu antworten, denn Otto kam herein.
„Guten Morgen.“
Liz lächelte ihn an.
„Warst heut Nacht drüben beim Haus, oder? Was war denn los?“, sagte er ganz beiläufig und setzte sich an den Esstisch.
Hilde stellte ihrem Mann einen Kaffee vor sich hin und sah Liz überrascht an.
„Wirklich? Was machst denn mitten in der Nacht dort drüben?“, fragte sie Liz.
Otto und Hilde sahen Liz fragend an und warteten auf eine Antwort.
Liz kam sich vor, als würde sie bei einem Verhör sitzen, aber am meisten fragte sie sich, woher Otto von ihrem nächtlichen Ausflug wusste.
„Ich hab ihm Haus Licht brennen sehen und war mir nicht sicher, ob ich vergessen hatte es abzudrehen. Und ganz ehrlich? Dieses Haus kostet mich schon genug. Eine überteuerte Stromrechnung wäre der Supergau.“, erwiderte Liz ruhig. Mehr wollte sie nicht erzählen. Sie hielt es nicht für klug alle Informationen an die beiden weiterzugeben.
„Und warum dann die Polizei?“, fragte Otto sie.
Liz sah ihn unverständlich an. Woher konnte er das wissen?
„Der Kabelbinder. Er war durchgeschnitten. Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen.“, erwiderte Liz.
Otto nickte, sah sie aber skeptisch an. Die Atmosphäre von gestern war wie weggefegt. Hatte sie gestern noch das Gefühl auf Menschen zu treffen, die ihr helfen wollten, war sie sich da heute nicht mehr sicher. Sie konnte sich nicht erklären woran es lag, aber die Stimmlage der beiden hatte sich geändert. Von freundlich und hilfsbereit zu neugierig und überwachend.
„Darf ich euch noch etwas fragen?“, sagte Liz vorsichtig.
Otto nickte.
„Wollten meine Großeltern wirklich das Haus schon früher verkaufen?“. Liz versuchte sich vorsichtig ran zu tasten, so viele Informationen wie möglich zu sammeln, ohne aufdringlich oder zu neugierig zu wirken.
„Ich versteh das nämlich nicht. Ich dachte sie waren so glücklich in diesem Haus.“
Otto lachte. Es war aber kein freundliches Lachen. Es war verachtend.
„Schau, deine Oma und dein Opa hatten sich ein Haus mit Grund zugelegt und hatten aber keine Ahnung was des bedeutet. Das gehört pflegt. Da muss ma schon viel Arbeit reinstecken. Und das ist ihnen irgendwann zu viel geworden.“, erklärte ihr Otto.
„Wir habens den beiden oft gesagt, dass das ned einfach wird.“, seufzte Hilde. „Aber sie wollten ned hören. Und am Ende … tragisch.“
Liz entschuldige sich bei den beiden und ging in ihr Zimmer. Sie wollte nicht mit den beiden über den Tod ihrer Großeltern sprechen. Dafür kannte sie Otto und Hilde zu wenig.
Und sie hatte kein Vertrauen mehr.
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