Als Liz wach wurde, war es noch dunkel. Durch das Fenstern drang Mondlicht ins Zimmer. Sie rieb sich die Augen und wollte auf ihrem Handy nach der Uhrzeit sehen. Als sie sich nach rechts drehte um nach ihrem Telefon zu greifen, erschreckte sie und lies einen kurzen Schrei los.
Sie setzte sich auf und schob sich mit ihren Beinen im Bett so weit es ging nach hinten. Ihr Herz raste und sie spürte den Puls bis in den Hals. In der Ecke zwischen Badezimmertür und Schlafzimmertür sah sie eine Gestalt stehen. Ein dunkler Umriss war zu erkennen. Das Licht von draußen schien auf den Boden bis kurz vor der Ecke und Liz glaubte, dort Beine zu erkennen. Sie hielt sich ihre rechte Hand vor den Mund damit sie nicht das ganze Haus zusammenschrie. Langsam rutschte sie im Bett nach links Richtung Nachttischlampe, lies dabei aber nie die Gestalt aus den Augen. Kurz bevor sie den Schalter der Lampe erreichte, bildete sich Liz ein, dass die Gestalt einen Arm hob und mit dem Zeigefinger auf sie zeigte.
Liz erreichte den Schalter und drehte das Licht auf.
Nichts.
Dort in der Ecke war nichts als ein Kleiderständer für Jacken und darunter ein Schirmständer. Liz begann zu lachen.
„Oh man, ich bin ja komplett bescheuert.“, sagte sie zu sich selbst.
Sie atmete tief durch und blickte auf ihr Handy. Kurz nach 3. Ihre Mutter hatte ihr auf eine Nachricht geantwortet. Es warfen fünf Fragezeichen und >Ruf mich morgen an<.
Sie spürte einen Luftzug über ihre recht Hand gleiten.
Liz blickte vom Handy auf und sah sich im Zimmer um.
„Okay, du drehst jetzt nicht durch.“
Die Badezimmertür war einen Spalt offen, also stieg sie aus dem Bett und schloss die Tür komplett. Liz konnte offene Türen nicht leiden. Sie hatte immer das Gefühl als würde sie damit eine Einladung aussprechen. An wen auch immer.
Sie wusste, dass sie kein Auge mehr zumachen würde. Ihre Fantasie hatte ab jetzt freien Zugang zu ihrem Kopf und sie hatte eine sehr ausgeprägte Fantasie. Als Kind bildete sie sich schon die verrücktesten Sachen ein. Mit 4 Jahren hatte sie eine imaginäre Freundin namens Penelopé. Penelopé blieb bis Liz' 12. Geburtstag und verschwand dann plötzlich. Ihre Großeltern störte das überhaupt nicht.
Liz schwelgte weiter in Erinnerungen und scrollte durch ihr Instagramprofil. Sie war komplett in Gedanken versunken und bekam gar nicht mit, dass sich die Tür zum Badezimmer wieder einen Spalt geöffnet hatte. Sie merkte es erst, als sie kurz vom Handy aufblickte und sah, dass das Licht im Badezimmer an war.
„Was zur Hölle?“
Sie bekam eine Gänsehaut auf ihren beiden Armen und wurde nervös.
Innerlich kämpfte sie mit sich selbst. Aufstehen, Licht abdrehen und Tür wieder schließen. Oder einfach hier die nächsten 4 Stunden sitzen bleiben, bis Otto oder Hilde aufstanden.
„Das ist doch lächerlich.“
Sie entschied sich für die erste Option. Und damit die Tür nicht nochmal aufging, stellte sie den Kleiderständer davor.
„Du bist erwachsen und keine 4 mehr.“
Sie legte ihr Handy wieder auf das Nachttischchen, legte sich hin und deckte sich bis fast zur Nase zu.
Das Licht lies sie an. Zur Sicherheit. Falls sie doch nicht verrückt sei.
Liz riss die Augen auf und blickte durch den Raum. Sie bewegte sich keinen Millimeter unter der Decke. Sie war eingeschlafen. Alles wir vorher. Kleiderständer vor der Badezimmertür. Tür zu. Sie atmete leise aus und ein. Nach einer Weile wurde es ihr zu heiß unter der Decke und sie bewegte sich. Sie nahm ihr Handy und checkte die Uhrzeit. Kurz nach 4.
Sie blickte aus dem Fenster. Es war ihr noch gar nicht aufgefallen, aber von hier aus hatte sie einen Blick auf ihr Haus. Sie erkannte es an der Veranda. Das Licht in der Küche beleuchtete die Bank auf der sie heute gesessen war.
„Moment mal.“
Liz sprang aus dem Bett und lief zum Fenster.
Ja, das Haus dort war ihres und es brannte Licht darin.
„Das kann nicht wahr sein.“
Sie schlüpfte in ihre Jeans, warf ihre Jacke über und zog die Schuhe ohne Socken an.
Sie wollte gerade aus dem Zimmer stürmen, und warf zufällig nochmal einen Blick zum Fenster.
Kein Licht mehr.
Sie ging näher an das Fenster.
Kein Licht mehr.
Liz starrte wie gebannt in die Nacht hinein zu ihrem Haus.
Nach einer Weile ging das Licht mehrmals hintereinander ein und aus.
„Okay, das reicht jetzt.“
Sie nahm ihr Handy und schlich aus dem Schlafzimmer hinaus. Mit der Taschenlampe am Handy leuchtete Liz sich den Weg vom Flur nach vorne zur Haustüre. Sie nahm die Türklinke in die Hand und wollte sie gerade nach unten drücken, da bemerkte sie, dass die Tür gar nicht zu war. Sie war nur angelehnt.
Sie ging nach draußen und leuchtete mit dem Handy in die Ferne.
„Hallo?“, rief sie in die Dunkelheit.
Es kam aber keine Antwort.
Sie zog ihre Jacke zu und ging los.
In der Dunkelheit der Nacht dauerte es eine Weile, aber nach etwa 15 Minuten hatte Liz es zu der Einfahrt ihres Grundstückes geschafft. Das Licht in der Küche war wieder aus. Sie ging an ihrem Auto vorbei und wollte einen Blick hinein werfen. Damit hatte sie kein Glück, denn alle Scheiben waren angelaufen.
Draußen hatte es kühle Temperaturen. Nicht mehr als 5 Grad.
Wie konnten die Scheiben anlaufen, wenn der Motor nicht an war und auch niemand drinnen saß?
Liz sprang reflexartig einen Schritt zurück.
Sie leuchtete mit der Taschenlampe vom Handy auf das Auto und über die Fensterscheiben auf der Fahrerseite. Sie konnte aber nichts erkennen. Auch keinen Umriss von einer Person drinnen. Da war nichts.
In diesem Moment ging das Licht auf der Veranda an und blinkte drei mal.
Liz fuhr herum und leuchtete auf das Haus. Ihr Puls wurde langsam schneller und sie immer nervöser. Vielleicht war das ja eine wirklich dumme Idee hier mitten in der Nacht herzukommen.
Sie ging langsam zum Haus und blieb zwei Schritte vor der Treppe zur Veranda stehen. Das Licht brannte. Durchgehend. Kein Blinken.
Sie starrte einfach nur auf die Haustür. Dort, wo der Polizist den Kabelbinder an der Tür angebracht hatte, war kein Kabelbinder mehr. Er lag durchgeschnitten auf der Matte vor der Tür.
In diesem Moment flog ein Rabe hinter ihr vorbei und lies sich auf dem Geländer der Veranda nieder. Liz erschreckte kurz und sah den Raben an. Es wirkte, als würde er sie direkte ansehen. Er hopste ein paar Schritte in ihre Richtung. Dann krähte er drei mal, flatterte mit seinen Flügeln und blickte zum Fenster der Küche. Er sah wieder zu Liz, krähte wieder drei mal und flatterte etwas heftiger als das erste mal.
„Was willst du mir sagen?“
Liz sah ihn mit tausend Fragezeichen im Kopf an.
Der Rabe drehte sich am Geländer um, krähte wieder dreimal, flatterte wie wild, ging in die Hocke und stieß sich vom Geländer ab. Er flog einfach weg. In die Nacht hinein.
„Wieso spreche ich eigentlich mit einem Raben?“
Liz griff sich mit der rechten Hand auf ihre Stirn und schüttelte ihren Kopf.
„Ich brauche endlich Urlaub.“
Sie ging die Treppen der Veranda nach oben und öffnete die Tür zum Haus. Sie ging hinein und beinahe wäre sie wieder umgedreht. Ihr kam ein gewaltiger Gestank entgegen. Liz verspürte den Drang sich zu übergeben. Es roch, als würde sie mitten in einer Jauchegrube stehen. Der Geruch kroch ihr ohne Vorwarnung in die Nase, den Mund und sogar in die Augen. Sie fühlte sich, als würde ihr Körper durch den Gestank in Brand gesetzt.
„Scheiße!“
Liz legte ihre rechte Hand über Mund und Nase und versuchte irgendwie zu atmen. Ihre Augen brannten und begannen zu Tränen.
Sie griff zu dem Lichtschalter rechts an der Wand und drückte drauf. Sofort erhellte sich der Eingangsbereich und sie musste ein paar mal blinzeln. In Windeseile öffnete sie alle Fenster und Türen im unteren Stock und machte in jedem Raum das Licht an. Liz durchsuchte auch die Räume nach irgendwelchen Gründen für den Gestank. Sie fand aber keine. Nach einer Weile ging sie nach draußen auf die Veranda und holte tief Luft. Sie hustete ein paar Mal und schaffte es, ihren Puls wieder zu stabilisieren.
Kommentar hinzufügen
Kommentare
Creepy...!