Otto und Hilde

Veröffentlicht am 31. August 2025 um 13:00

Liz stand auf der Veranda und kaute auf ihren Fingernägeln herum. Besser als sie würde sich eine Zigarette anzünden.

Sie war wie eine Wahnsinnige hier her gerast und schaffte es, dass sie in einer knappen Stunde hier war.

„Frau Starling?“

Ein Polizist riss sie aus ihren Gedanken.

„Ja?“

„Wir haben jetzt das komplette Haus und auch auf dem Grundstück nachgesehen. Hier ist niemand.“, sagte der Polizist.

„Sie sollten das Haus absperren. Ein Sessel schreckt nicht wirklich ab“

Liz nickte. „Ich weiß. Mein Schlüssel liegt nur leider im Abflussrohr der Küche. Und der Installateur kommt erst morgen um 9.“, antwortete sie.

Die beiden Polizisten sahen sie erstaunt an.

„Okay. Ich kann ihre Tür mit Kabelbinder verschließen, wenn sie das möchten?“

„Ja, bitte. Das wäre äußert hilfreich.“ entgegnete ihm Liz und bedankte sich.

„Haben sie eine Unterkunft in der Nähe?“

„Ja, hab ich alles geregelt. Dankeschön!“, sagte Liz.

Hatte sie nicht, aber sie wollte nicht noch dämlicher wirken als sie sich schon vorkam.

Einer der Polizisten versperrte die Tür mit dem Kabelbinder und dann verabschiedeten sie sich. Also standen nur noch Liz und ihr Nachbar Herr Otto auf der Veranda.

„Da habens sich was eingebrockt, meine Liebe.“ murrte er.

Liz drehte sich zu ihm und sah ihn nachdenklich an.

„Wie bitte?“

Er deutete mit seinem Kopf auf das Haus.

„Na diese Bruchbude hier. Ihre Großeltern hatten schon Mühe genug mit dem Teil. Wollten´s eigentlich schon viel früher verkaufen, aber na ja. Ging halt nicht.“

Er zuckte mit den Schultern und ging die Veranda hinunter.

„Was meinen sie damit, dass meine Großeltern das Haus verkaufen wollten?“, rief Liz ihm nach.

„Wo schlafen´s denn heute?“, fragt er sie.

Liz zuckte mit den Schultern und deutete auf ihr Auto.

Er schüttelte den Kopf.

„Na dann, kommen´s mal mit. Können´s heute bei mir schlafen. Meine Frau hat Gulasch gmacht.“

„Danke.“, sagte sie leicht beschämt.

Liz prüfte kurz noch mal die Haustür und dann folgte sie ihrem Nachbarn. Das Auto sperrte sie ab und lies es einfach in der Einfahrt stehen. War ja ihr Grundstück.

 

Im Haus ihres Nachbarn wurde sie mit großzügiger Freude von seiner Frau begrüßt und umarmt.

„Na das is ja ne Überraschung. Schön, dass ma dich wieder mal sehen, Liz.“, sagte seine Frau. „Wirst dich nicht mehr so gut an mich erinnern können, gell?“

Liz schüttelte langsam den Kopf.

„Na das macht nichts. Ich bin die Hilde. So klein warst noch, als du mit deiner Oma und deinen Opa bei uns warst.“, sagte sie und deutete mit ihrer rechten Hand in der Höhe ihrer Hüfte.

Sie nahm Liz bei der Hand und führte sie in die Wohnküche. Ein riesiger Raum. Wie eine Gaststube. Nur, dass die Küche im selben Raum war und sie nahm den kompletten linken Bereich ein. Daneben ein Esstisch mit 3 Sitzbänken in U-Form und einem Stuhl am vorderen Ende und ganz rechts das Wohnzimmer.

„Setz dich. Mach´s dir bequem. Willst was essen? Ich mach da gleich was.“, sagte seine Frau.

Liz hatte eigentlich schon gegessen, aber nach der ganzen Aufregung mit dem Haus konnte sie gut noch etwas vertragen. Hilde stellte ihr einen Teller mit Gulasch hin und ein kleines Körbchen mit verschiedenen Broten.

„Ich weiß ned, welches Brot du magst. Also hab ich da geben, was ma da haben. Bedien dich ruhig.“, sagte Hilde und lächelte Liz warmherzige an.

Es dämmerte leicht in ihrem Kopf. Irgendwie kam ihr die Frau bekannt vor und auch dieser Raum fühlte sich nicht fremd an.

„Was das früher ein Gasthaus?“, fragte Liz. „Es kommt mir hier irgendwie bekannt vor.“

Hilde lächelte.

„Gasthaus war´s nicht, aber der Otto und ich haben oft Leute aus der Nachbarschaft eingeladen. Zum Essen, Karten spielen oder wenn der Sparverein eine Sitzung hatte. Ein paar mal warst mit dabei. Deswegen wird’s dir bekannt vor kommen.“

Hilde und Liz unterhielten sich während sie aß und Liz gewöhnte sich auch schnell wieder an den Dialekt hier.

„Entschuldigen Sie ...“

„Sag doch Hilde zu mir. Meinen Mann den Otto kennst ja schon. Wir sind hier ned so förmlich. Außerdem kenn ma uns ja eigentlich.“, lachte sie und tätschelte Liz' Hand.

„Danke, sehr freundlich.“, antwortete Liz.

„Also, ich will ja nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber Otto hatte vorher etwas angedeutet, dass meine Großeltern das Haus schon viel früher verkaufen wollten. Davon wusste ich gar nichts. Stimmt das?“, fragte sie Hilde.

Hilde sah ihren Mann mit einem eigenartigem Blick an. Ihre Lippen pressten sich ein bisschen fester zusammen, sodass sie etwas weiß wurden und ihre Augen waren weiter geöffnet. Als würde sie ihn gedanklich ermahnen nicht immer so viel zu reden.

„Entschuldigung. Ich wollte nicht unhöflich sein.“, sagte Liz.

Ihr Nachbar schüttelte den Kopf und winkte ihre Entschuldigung mit der rechten Hand ab. Er sah seine Frau schulterzuckend an.

„Wenn's wahr ist. Kann ma doch mal erwähnen. Immerhin muss sie sich jetzt mit dem Teil umadum schlagen. Hat ihr keiner was gesagt, dem armen Mädl.“, entgegnete er seiner Frau.

Liz blickte zwischen den beiden ahnungslos und verwirrt hin und her.

„Magst noch was?“, fragte Hilde und deutete auf ihr leeres Teller.

„Nein, danke. Es war sehr lecker und hat echt gut getan.“, antwortete Liz.

Hilde räumte die Sachen ab und ging in die Küche. Ihr Mann stand vom Stuhl auf und ging zu der Glasvitrine, welche rechts neben der Tür stand. Er öffnete die linke Glastür, holte eine Flasche und drei Schnapsgläser heraus.
„Otto, muss denn das jetzt sein?“, schimpfte seine Frau aus der Küche.

„Nach'm Essen braucht man das. Das ist gsund. Hat da Doktor auch gesagt.“

Er stellte alles auf den Tisch und schenkte ein.

Sie stießen an und Liz trank den Schnaps auf einen Satz hinunter. Sobald das Getränk in ihrem Hals war, verschluckte sie sich beinah und begann zu husten. Otto und Hilde begannen zu lachen.

„Das Zeug ist ja echt scharf.“, sah Liz die beiden entsetzt an.

„Selbst gebrannt. Machen nicht mehr viele. Aber ich kann's noch.“, antwortete Otto.

Er schenkte ihr noch mal nach.

„Aber dieses mal langsam.“, lachte er.

Liz nahm nur einen kleinen Schluck, verzog ihr Gesicht aber wie beim ersten mal.

„Dein Opa konnte das auch.“, sagte Otto.

„Was?“

„Schnaps brennen.“

Liz drehte ihren Kopf nach rechts und blickte beim Fenster hinaus.

„Das wusste ich gar nicht.“, flüsterte sie.

Hilde tätschelte ihre rechte Hand.

„Anscheinend hab ich so einiges über meine Großeltern nicht gewusst.“, seufzte sie.

Hilde sah ihren Mann streng an.

„Ach, Mädl. Das is alles schon so lang her. Darüber brauchst dir nicht den Kopf zerbrechen. Außerdem hat er das nur unter der Woche tan, wenn du ned da warst. Am Wochenende wollte er ja die Zeit mit dir genießen.“, sagte Hilde und nahm Liz in den Arm.

„Ich richt' dir jetzt dein Bett her und dann kannst es dir gemütlich machen, ja?“

Liz lächelte freundlich und bedankte sich. In Gedanken war sie aber ganz wo anders.

 

Im Zimmer holte sie ihr Handy hervor und schrieb ihrer Mutter eine Nachricht. Sie wollte wissen, ob ihre Eltern von den versuchten Hausverkauf wussten und warum sie nie etwas erwähnt haben oder nicht halfen.

 

Als sie im Badezimmer stand, musste sie lächeln.

Hilde hatte ihr alles bereit gestellt. Zahnbürste, Zahnpaste, Duschgel, Handtücher und sogar ein T-Shirt zum schlafen. Liz erinnerte sich sofort an ihre Oma. Jeden Freitag wartete sie vorm Haus auf der Veranda auf Opa und Liz und hatte bereits alles im Zimmer vorbereitet. Sachen zum Spielen, zum Anziehen und auch für die Schule. Ihre Hausaufgaben musste Liz immer zuerst machen. Erst dann durfte sie nach draußen. Auf ihrem Nachttisch, rechts neben dem Bett, lag immer das große Wilhelm Busch Buch. Als Kind las sie mit ihrer Großmutter immer vor dem schlafen gehen darin. Es war ein gemeinsames Ritual. Liz liebte diese Kindergeschichten. Vor allem die von Max und Moritz.

 

Liz sah sich in den Spiegel und runzelte dir Stirn.

Mit der Zahnbürste im Mund ging sie zurück ins Schlafzimmer.

Auf beiden Seiten des Bettes waren kleine Nachttischchen. Auf dem linken eine Lampe und auf dem rechten lag aber eine Bibel mit einem Rosenkranz.

Sie war sich sicher, dass sie nicht viel Schlaf bekommen würde. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken nur so herum. Bevor sie darüber nachdenken konnte, wie viel sie heute Nacht schlafen würde, schlief sie ein.


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