Ohne Ruhe

Veröffentlicht am 17. August 2025 um 13:00

„Morgen um 9 Uhr? Ja, das wäre super. Vielen Dank! Sie retten mir echt das Leben!“

Unterwegs hatte Liz bei einigen Installateuren in der Umgebung angerufen und tatsächlich einen gefunden, welcher am nächsten Tag ihr Problem lösen würde. Als ihre Großeltern noch lebten, war das alles anders. Irgendein Nachbar konnte immer helfen. Aber mittlerweile war die Gegend dort sehr ausgestorben und nur noch die restlichen alteingesessenen lebten dort.  Firmen gab es dort sowieso keine. Man musste sehr lange in der Umgebung suchen.

Zu Hause machte sich Liz ein schnelles Mittagessen und arbeitete nebenbei ihre E-Mails ab. Sie hatte ihrem Chef versprochen, dass sie nach dem privaten Termin heute noch mindestens 5 andere Termine für die nächste Woche vereinbarte. Dafür musste sie nicht mehr ins Büro.

Sie war bereits um 7 Uhr früh losgefahren. Die Fahrt dauerte eineinhalb Stunden und die Mertens kamen um Punkt 9 an. Im Grunde saß sie 3 Stunden im Auto für einen Termin von 15 Minuten.

Ein Blick auf ihre Homepage mit der Anzeige für das Haus verriet ihr, dass es derzeit keine weiteren Anfragen gab.

„Und ich schätze, die werden auch nicht mehr kommen.“, seufzte sie.

„Wieso habe ich dieses dämliche Haus überhaupt übernommen?“

Als ihre Großeltern starben, wollte sie das Haus unbedingt behalten. Ihre Eltern hatten Liz beim Notartermin noch gewarnt.

>Schaff dir nichts an was du nicht halten kannst!<

Die Stimme ihres Vaters hallte noch immer in ihrem Kopf. Er und ihre Mutter hatten von Anfang an gesagt, dass sie damit nichts am Hut haben wollen. Sie hätten es versteigern lassen. Aber Liz war jung und ihr Herz gebrochen. Sie konnte sich nicht trennen. Nicht so plötzlich.

 

Ihr Handy vibrierte.

„Hi Mum.“, antwortete sie.

„Hast du es verkauft?“

„Ich denke schon.“, antwortete Liz.

„Ja oder nein? Bei einem Verkauf gibt es kein vielleicht.“, seufzte ihre Mutter.

„Nein, noch nicht. Aber ich habe ...“

„Liz, werde dieses Haus endlich los. Es ist eine Bruchbude und kostet dich mehr als es bringt. Und wenn du es der Kirche verkaufst. Lass endlich los, ja?“

Liz stützte ihren Kopf auf ihre linke Hand und schnaufte.

„Ja, ist gut. Ich kümmere mich ja darum.“, schnauzte sie ihre Mutter an.

„Braves Mädchen. Sonntag um 13 Uhr bei uns zu Hause. Sei bitte pünktlich.“

„Mhm ...“, murmelte Liz.

Dann legten beide auf.

Ein weiters äußerst bekräftigendes und motivierendes Gespräch mit ihrer Mutter. So lief das schon seit Jahren. Manchmal hatte Liz den verdachte, dass ihre Mutter sauer war, weil sie nicht Anwältin geworden ist. Aber Liz wollte eigentlich nicht mal Immobilienmaklerin werden. Sie wollte eine Ausbildung zur Altenpflegerin machen. Ihre Eltern lachten darüber nur.

>Lerne etwas vernünftiges womit du auch Geld verdienen kannst!<

Auch so ein Satz von ihrem Vater der ihr bis heute noch im Kopf herumspukt. Leider hatte ihre Mutter aber recht. Die monatlichen Kosten für das Haus überstiegen ihren Verdienst und hätte sich nicht etwas Geld auf der Seite, müsste sie einen Kredit aufnehmen oder das Haus herschenken. Ihr Plan war eigentlich selber dort einzuziehen. Nach dem Tod ihrer Großeltern war sie aber nicht gleich dazu bereit. Und dieses 'nicht gleich bereit' zieht sich mittlerweile seit knapp 2 Jahren. Die ersten 6 Monate war 'alles zu früh'. Das Jahr darauf 'hatte sie keine Zeit'. 3 weitere Monate sortierte sie in dem Haus die Sachen und die letzten 3 Monate kam sie dann darauf, dass sie damit Pleite gehen würde. Also versuchte sie seit etwas mehr als 3 Monaten das Haus zu verkaufen. Insgesamt hatte sie 15 Termine. 16 mit dem heutigen. Die Kundschaft war komplett unterschiedlich. Familien, Pärchen, Alleinstehende oder Leute die einen Zweitwohnsitz in Ruhelage suchten. Aber alle sagten am Ende ab. Entweder war es zu teuer, zu muffig, zu weit draußen oder zu renovierungsbedürftig. Dabei hatte Liz einiges machen lassen. Leitungen für Strom und Wasser wurden neu gemacht, Wände neu gestrichen, der Holzboden unten überarbeitet und in der Küche wurden die Geräte ausgetauscht. Es war nicht perfekt, aber was war schon perfekt?

 

Liz räumte ihr Geschirr weg und setzte sich mit dem Laptop auf die Couch. Während dem Essen hatte sie bereits 3 Termine fixiert. An den letzten beiden arbeitete sie noch. Als auch die beiden ausgemacht waren, klappte sie den Laptop zu und entschied sich einen kurzen Power-Nap zu machen.

Dass der Power-Nap derartig ausartete und sie nach zwei Stunden von ihrem Handy aus dem Tiefschlaf gerissen wurde, damit rechnete Liz nicht.

„Ja?“, hob sie komplett verschlafen ab.

„Frau Starling? Hier´s Otto. Ihr Nachbar.“, raunte ihr eine genervte, tiefe Stimme entgegen. „Ihre Haustür steht offen. Wollt´ ich ihnen nur mitteilen.“

„Was? Wie?“, antwortete Liz verschlafen.

"Ihre Haustür steht offen. Schönen Tag noch.“

Er legte einfach auf.

Liz dachte nach. Die Tür lässt sich nur nach außen öffnen, deshalb hatte sie einen Stuhl von der Veranda davor gestellt. Hatte sie das?
„Doch. Hast du! Oder?“

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Knapp nach 15 Uhr.

„Oh man, ich will nicht.“, jammerte sie.

In ihrem Kopf kämpfte sie mit sich selbst. Hinfahren, nicht hinfahren. Hinfahren, nicht hinfahren. 3 Stunden Autofahrt für einmal Tür zu machen. War es das wert? Was sollte passieren, wenn sie nicht hin fuhr? In dem Haus gab es nichts, was gestohlen werden konnte. Also war das schlimmste was passieren konnte, dass sie morgen vor dem Haus stand und aufräumen müsste, weil der Wind alles um geschmissen hatte. Dort draußen war niemand.

Während sie weiter mit sich selbst kämpfte, läutete ihr Telefon nochmal.

„Ja?“

„Otto wieder. Ich bin gerade nochmal vorbei gefahren. Da ist jemand auf´m Grundstück.“, raunte er wieder mürrisch in den Hörer.

„Was? Rufen sie die Polizei. Ich bin in eineinhalb Stunden hier.“, rief Liz ins Telefon.

Er wollte noch etwas sagen, aber Liz legte einfach auf.

Jetzt gab es kein hinfahren oder nicht hinfahren mehr. Sie schnappte ihre Handtasche und eilte los.


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