Das Haus

Veröffentlicht am 3. August 2025 um 13:00

Liz saß in ihrem Auto. Beide Hände auf dem Lenkrad. Den Kopf an den Händen angelehnt. Sie starrte durch die Windschutzscheibe hinaus. Der Motor lief noch. Ihr rechter Fuß drückte die Bremse ganz durch.

„Okay, bringen wir es hinter uns.“

Sie stellte den Motor ab, zog die Handbremse an, steckte den Schlüssel ab und stieg aus.

Sie ging auf das Haus vor ihr zu. Die Einfahrt war nicht gepflastert oder betoniert sondern nur ein Schotterhaufen. Ihr Auto hatte an allen Seiten Staub kleben. Sie ging die vier Treppen in der Mitte zur Veranda nach oben und legte ihre Aktentasche auf den kleinen Tisch rechts neben der Haustür. Mit ihrer linken Hand griff sie unter die Tischplatte und tastete diese ab. Ganz hinten rechts stieß sie auf etwas metallisches.

„Da bist du ja.“

Sie zog es ab und hielt einen Schlüssel in der Hand.

„Dieses mal werde ich dich los, hörst du?“

Dann sperrte sie die Eingangstür auf und betrat das Haus. Das erste was ihr auffiel war die stickige, staubige und leicht modrig riechende Luft. Sie öffnete beide Fenster zur linken und rechten Seite der Haustüre. Ging links in die Küche und öffnete dort auch das Fenster.

„Hallo? Frau Starling? Sind sie da?“

„Ja, in der Küche.“, antwortete sie. „Ich komme schon.“

Sie ging schnell zurück zur Haustür.

„Ah, Frau und Herr Mertens. Herzlich willkommen. Haben sie leicht her gefunden?“, fragte sie die beiden.

„Es heißt Doktor Mertens.“, antwortete die Frau schnippisch.

„Entschuldigen sie vielmals Frau Doktor Mertens.“, antwortete Liz.

Die Frau drängte sich an Liz vorbei in das Haus. Sie blieb mitten im Eingangsbereich stehen und sah sich um.

„Und das ist das tolle Haus, welches sie uns unbedingt zeigen wollten?“

Ihr Mann streckte Liz höflich seine Hand entgegen.

„Martin Mertens. Wir haben telefoniert.“

Liz schüttelte seine Hand und lächelte höflich.

„Das ist eine Bruchbude.“, hörte sie die Frau in der Küche.

Der Mann folgte seiner Frau.

„Ja, es ist schon etwas älter, aber wenn man ...“

„Wenn man was?“, unterbrach die Frau Liz. „Renovieren? Sie verlangen für dieses Teil ein Vermögen und dann soll ich es auch noch renovieren?“

„Schatz, sie dich doch schon im ersten Stock um. Ich spreche mit der Maklerin.“, sagte ihr Mann höflich.

Er kam zu Liz zurück, legte ihr seine rechte Hand auf den Rücken und schob sie nach draußen auf die Veranda.

„Wie viel wollen sie für das Haus?“, fragte er Liz.

Das war der Moment. Liz wusste, dass es nur diesen einen geben würde. So wie bei den 15 Terminen davor. Und bei jedem Termin ging sie mit dem Preis ein Stück weiter runter.

„Was wäre es ihnen den wert, Herr Mertens?“

Er runzelte die Stirn und dachte eine Weile nach.

„Ich bin ganz ehrlich. Meine Frau will kein Haus am Land. Die Stadt ist ihr Leben. Ihr Job ist ihr Leben. Von hier würde sie über eine Stunde in die Klinik fahren.“, sagte er.

Liz sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ich verstehe nicht?“, sagte sie.

„Unsere Vorstellungen von einem gemeinsamen Leben gehen mittlerweile weit auseinander. Wir sind seit über 30 Jahren verheiratet. Ich möchte einen Ort für mich und mein Hobby.“, erklärte er.

Liz nickte. Sie begann zu verstehen.

„Und das Haus wäre für sie passend? Auch wenn es so weit weg ist von ihrem gemeinsamen zu Hause?“, fragte Liz vorsichtig nach.

Der Mann nickte.

„Okay. Ich kann mit dem Verkäufer sprechen. Wir können uns hier sicher einig werden.“, sagte Liz.

Sie wusste, dass das Haus weg musste. Auch, wenn das bedeuten würde, dass sie mit dem Preis wieder runter müsse.

„Ich kann sie gerne am Montag anrufen. Denken sie über das Wochenende darüber nach. Sprechen sie noch einmal mit ihrer Frau. Sie können mir gerne eine Nachricht schreiben, was für sie ein passender Preis wäre.“

Liz zog eine Visitenkarte aus ihrem Blazer und schrieb auf der Rückseite ihre private Handynummer. Dann gab sie die Karte dem Mann.

Sie hörten wie Frau Mertens die Treppe herunter kam.

Er nickte und bedankte sich bei Liz.

„Fahren wir?“, sagte die Frau zu ihrem Mann.

Er nickte wieder und die beiden gingen die Veranda hinunter zu dem Mercedes in der Einfahrt. Er stand neben Liz´ VW, welcher irgendwie ziemlich erbärmlich wirkte. Dabei war sie echt stolz auf ihr Auto. Sie hatte ihn seit ihrer Ausbildungszeit. Hin und wieder hatte er Startprobleme, aber das dauerte oft nur ein paar Minuten. Liz winkte den beiden, als sie die Einfahrt rückwärts raus fuhren.

Der Mann deutete ihr mit seiner rechten Hand. Seine Frau saß wie versteinert neben ihn und starrte Liz an.

Als die beiden weg waren, setzte sich Liz auf die Holzbank links neben der Eingangstür und seufzte.

„Wie werde ich endlich dieses Haus los?“, fragte sie sich selbst.

„Vielleicht sollte ich es einfach behalten. Oder anzünden?“

Die Sonne schien ihr ins Gesicht und sie spürte die angenehme Wärme auf ihren Wangen. Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen. Als Kind saß sie hier sehr oft mit ihrer Oma und beobachteten Opa in der Einfahrt, wenn er wieder einmal an irgendetwas herum schraubte. Sie verbrachte damals viel Zeit hier. Ihre Eltern waren beide Arbeitstiere und hatten kaum bis wenig Zeit für Liz. Also wurde sie jeden Freitag von ihrem Opa von der Schule abgeholt und war übers Wochenende hier. In den Ferien dasselbe. Manchmal hatten ihre Eltern ein oder zwei Wochen Urlaub. Dann waren sie auch hier. Aber selbst im Urlaub arbeiteten sie. Ihre Mutter war Anwältin und ihr Vater Immobilienmakler. Beide verbrachten die meiste Zeit bei Gericht oder im Büro. Liz wollte nie so ein gehetztes und angebundenes Leben wie ihre Eltern. Sie wollte so wie ihre Großeltern leben. Keine Sorgen, kein Stress und jeden Tag das tun, was sie möchte.

Fazit: Liz war wie ihr Vater Immobilienmaklerin geworden. Sie war angestellt bei einer großen Firma, welche sie nach der Ausbildung übernommen hat. Sie sagte immer ja zu Überstunden, Fällen die keiner will und wenn jemand ausfiel, sprang sie auch am Wochenende ein. Im Grund war sie kein Stück anders als ihre Eltern.

 

Liz seufzte, öffnete die Augen und blickte in die Augen eines Raben. Er saß auf dem Geländer vor ihr und starrte sie genauso überrascht an wie sie ihn. Dann ging er ein paar Schritte das Geländer entlang, stieß sich ab und flog weg.

Sie hörte im Haus hinter sich etwas knarren und erschreckte.

„Herr Gott. Ich hasse dieses Haus.“, fluchte sie.

Liz stand auf, ging in das Haus hinein und schloss die Fenster. Dann ging sie in die Küche, beugte sich über die Spüle und drückte das Fenster ebenso zu. Da hörte sie es wieder knarren.

Sie erschreckte sich wieder und lies den Haustürschlüssel in ihrer rechten Hand in die Spüle fallen.

„Nein!“, rief sie.

Er fiel hinunter und landete genau im Abfluss. Sie hörte noch wie er im Rohr runterrutschte und dann stecken blieb.

„Oh man. Das darf nicht wahr sein.“, seufzte sie.

Seit Monaten nahm sie sich vor, dass sie ein Sieb auf den Abfluss legen würde. Und seit Monaten tat sich es nicht und hatte jetzt ein Problem.

Sie versuchte mit der Hand in den Abfluss zu kommen, ärgerte sich dann über ihre eigene Dämlichkeit.

„Wie kann man nur so saublöd sein!“, fluchte sie.

Sie warf ihre Aktentasche und den Autoschlüssel auf den Tisch und schnaufte. Dann suchte sie die Küche nach einem Werkzeug ab, dass ihr helfen könnte. Da das Haus aber bereits seit Jahren leer stand, war hier nichts mehr. Ihre Eltern hatten damals alles ausgeräumt und weggeworfen.

Liz fand aber tatsächlich in einem der Schränke ein Messer.

Besser als nichts, dachte sie.

Sie stocherte damit im Abfluss herum, schaffte es aber nicht den Schlüssel zu erreichen. Und da Liz ein äußert tollpatschiger Mensch war, entglitt ihr irgendwann das Messer und sie lies ebenfalls in den Abfluss fallen.

„Ernsthaft?“, fragte sie sich selbst. „Bist du so doof oder tust du das mit Absicht?“

Da die Situation ziemlich aussichtslos und ohne Installateur für sie nicht zu bewältigen war, beschloss sie zu fahren. Sie packte ihre Sachen vom Tisch und ging Richtung Haustür. Dann hörte sie es im ersten Stock noch einmal knarren und sie zuckte zusammen.

Liz drehte sich um und blickte nach oben zu den Treppen und dem Gang.

„Fahr einfach!“, sagte sie zu sich selbst.

Sie schloss die Haustür, stellte einen Stuhl davor und ging zurück zu ihrem Auto.

Sie warf ihre Aktentasche auf den Beifahrersitz, zog ihren Blazer aus und hing ihn auf den Kleiderhaken hinten. Dann stieg sie ein und startete das Auto. Nichts.

„Bitte nicht. Nicht jetzt.“

Sie küsste ihr Lenkrad und versuchte es nochmal.

Wieder nichts.

Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und faltete die Hände.

„Lieber Gott, ich weiß, ich melde mich sehr selten. Eigentlich nie. Aber bitte, lass mein Auto anspringen.“, sprach sie.

Sie öffnete ihre Augen, beugte sich nach vorne und legte ihre Stirn gegen das Lenkrad.

„Tu es für mich.“, flüsterte sie.

Sie drückte die Kupplung durch und drehte den Schlüssel in der Zündung um.

Er sprang an.

„Ja! Ja, du bist der beste, mein Baby!“, jubelte sie.

Liz legte den Rückwärtsgang ein und blickte noch ein mal auf das Haus.

Sie erschreckte, als sie zu dem Fenster im ersten Stock blickte, wo früher ihr Zimmer war. Dort stand jemand. Sie kniff ihre Augen zusammen und lehnte sich im Auto so weit vor wie möglich.

„Was zur Hölle?“, sagte sie.

Sie schloss ihre Augen, rieb sie mit ihren Händen und öffnete sie wieder.

Nichts. Da war niemand.

„Ich muss hier weg. Und ich brauch definitiv Urlaub.“

Sie wendete ihren VW in der Einfahrt und fuhr die Schotterstraße langsam zur Ausfahrt. Dabei blickte sie immer wieder nervös in den Rückspiegel. Das Haus wurde hinter ihr kleiner und kleiner. Sie sah aber nichts mehr.

„Heute gehst du früher schlafen. Keine After-Work Drinks und keine Party.“


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Kommentare

Gabriele
Vor 4 Tage

Toll - hoffentlich gibt es Bald eine Fortsetzung
👌🌟🙋‍♀️